Vatermord und andere Familienvergnuegen
wieder, obwohl ich ohne Aufklärungsgespräch auskam. So wie jeder. Ein Biber kann einen Damm bauen, ein Vogel kann ein Nest bauen, eine Spinne kann ihr Netz beim ersten Anlauf spinnen, ohne sich zu verhaspeln. Ficken ist genauso. Wir sind dafür geboren.
»Willst du irgendwas über die Liebe lesen?«, fragte Dad.
»Nein, ich will sie bloß machen.«
»Wie du willst. Platons Symposion würde dir sowieso nicht viel nützen, es sei denn, deine Freundin wäre ein dreizehnjähriger griechischer Knabe. Auf Schopenhauer würde ich auch verzichten. Der will dich glauben machen, dass du nur von dem unterschwelligen Wunsch getrieben bist, die Ausbreitung der Spezies zu fördern.«
»Ich will die Ausbreitung von gar nichts. Erst recht nicht der Spezies.«
»Das lob ich mir.« Dad schob seine Hände in die ramponierten Taschen seiner alten Trainingshose und ging nahtlos dazu über, mir mit halb geöffnetem Mund zuzunicken.
»Dad«, sagte ich, »weißt du noch, wie du behauptet hast, Liebe sei eine Annehmlichkeit, eine Stimulanz und eine Ablenkung?«
»Mhm.«
»Tja, da ist noch was, das du nicht erwähnt hast: Wenn man es der geliebten Person auf diese Weise ersparen könnte, je wieder einen Splitter in den Finger zu bekommen, würde man um die ganze Welt reisen, um auch noch das letzte Stückchen Holz auf Hochglanz zu versiegeln. Das ist Liebe.«
Dad sagte: »Hm. Das muss ich mir notieren.«
Als ich am nächsten Abend zu Bett ging, fand ich etwas Sperriges unter meinem Kopfkissen. Es waren dreizehn Bücher, Werke von Shakespeare bis Freud, und nachdem ich die halbe Nacht aufgewesen war, um zumindest die Hälfte von ihnen zu überfliegen, hatte ich erfahren, dass man nicht »verliebt« sein kann, ohne etwas zu fürchten, wohingegen Liebe ohne Furcht die wahre, die gereifte Liebe darstellt.
Mir wurde klar, dass ich das Flammende Inferno vollkommen idealisiert hatte, aber wenn schon? Früher oder später müssen wir etwas finden, das wir idealisieren können - alles nur so halb engagiert anzupacken ist unmenschlich. Also idealisierte ich sie. Aber liebte ich sie, oder liebte ich sie nicht? War es eine reife oder eine unreife Liebe? Tja, ich hatte meine eigene Methode, das herauszufinden, und zwar folgende: Ich weiß, dass ich liebe und verliebt bin, wenn ich plötzlich ihren Tod ebenso schmerzlich fürchte wie meinen eigenen. Es wäre süß und romantisch zu sagen, ich würde ihren Tod mehr als meinen fürchten, aber das wäre eine Lüge, und davon abgesehen - wenn Sie eine Ahnung davon hätten, wie stark mein Wunsch ist, mich unversehrt bis zum letzten Partikel durch alle Äonen zu schlagen, würden Sie mir zustimmen, dass es schon hinlänglich romantisch war, dieses Grauen vor dem Tod der Geliebten.
Ich rief also ihren Sozusagen-Exfreund Brian an.
»Hier ist Jasper Dean«, sagte ich, als er ans Telefon ging. »Jasper! Danke, dass du anrufst.« »Worum geht es denn?«
»Nur ein bisschen quatschen. Kennst du den Royal Batsman, nicht weit vom Hauptbahnhof? Wenn wir uns morgen um fünf dort träfen?«
»Dreiundzwanzig nach fünf«, sagte ich, um mich nicht einfach überfahren zu lassen. »Gebongt.«
»Was war das von wegen, ich solle dir helfen, deinen Job zurückzukriegen?«, fragte ich.
»Das erzähl ich dir lieber unter vier Augen«, sagte er, und als ich den Hörer auflegte, dachte ich, dass er entweder eine geringe Meinung von seiner Stimme oder eine sehr hohe Meinung von seinem Gesicht haben musste.
In den nächsten vierundzwanzig Stunden pulsierte mein ganzer Körper vor Neugier; der Gedanke, dass ich ihm helfen könnte, seinen Job zurückzubekommen, verwirrte mich. Selbst wenn es mir irgendwie möglich wäre, woher die Annahme, dass ich es wollte? Das Schlimmste, was man in einer Gesellschaft wie unserer über jemanden sagen kann, ist, dass er sich in keinem Job lange hält. Das beschwört Bilder unrasierter Verlierer mit schlappem Händedruck herauf, die traurig ihren verflossenen Stellen hinterherblicken. Nichts respektieren wir mehr als Arbeit, und nichts reden wir lieber schlecht als die Scheu vor der Arbeit, und wenn jemand sich der Malerei oder dem Gedichteschreiben widmen will, sollte er gefälligst zusehen, dass es seinen Job als Hamburgerbräter nicht gefährdet.
Ich war kaum durch die Tür des Royal Batsman, als mir ein älterer Mann mit silbergrauem Haar zuwinkte. Er war Ende vierzig und trug einen auffälligen Nadelstreifenanzug, fast so auffällig wie sein Haar. Er lächelte mich an. Das war
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