Vatermord und andere Familienvergnuegen
ebenfalls auffällig.
»Sorry, kenne ich Sie?«
»Ich bin Brian.«
»Sie sind der Exfreund?«
»Ja.«
»Aber Sie sind alt!«
Darauf lächelte er schmierig. »Ich vermute, sie hat eine kleine Schwäche für Prominente.«
»Prominente? Wer ist ein Prominenter?« »Weißt du nicht, wer ich bin?« »Nein.«
»Siehst du nicht fern?« »Nein.«
Er sah mich so perplex an, als hätte ich auf die Frage »Isst, scheißt und atmest du nicht?« mit Nein geantwortet.
»Mein Name ist Brian Sinclair. Ich war einige Jahre lang bei Channel Nine TV. Bei den Tagesnachrichten. Ich nehme gerade eine Auszeit.«
»Und?«
»Bier?«, fragte er. »Danke.«
Er ging an die Theke und holte mir ein Bier, und ich fühlte mich plötzlich von einer Art Panik ergriffen, geblendet von seinem silbernen Haar und dem dazu passenden Anzug. Ich musste mich daran erinnern, dass er meine Hilfe beanspruchte und mich das in eine Position der Stärke brachte, die zu missbrauchen mir jederzeit freistand.
»Haben Sie gestern Abend das Spiel gesehen?«, fragte ich, als er zurückkam.
»Nein. Welches Spiel?«
Ich antwortete nicht. Ich wusste nicht, welches Spiel - ich machte nur Konversation. Irgendein Spiel gibt es doch immer.
»Also, was kann ich für Sie tun?«, fragte ich ihn.
»Nun, Jasper, wie gesagt, war ich Nachrichtenkorrespondent bei Channel Nine. Und bin gefeuert worden.«
»Weswegen?«
»Bist du sicher, dass du nichts davon weißt? Es war eine Zeit lang in sämtlichen Nachrichten. Ich interviewte einen sechsundzwanzigjährigen Vater von zwei Kindern, der nicht nur seiner Unterhaltspflicht nicht nachkam, sondern auch Arbeitslosengeld kassierte, um seiner Leidenschaft für das Vormittagsprogramm frönen zu können. Ich stellte ihm nur ein paar simple Fragen, und mitten im Interview -«
»Zog er eine Waffe und erschoss sich.«
»He - ich dachte, du siehst nicht fern.«
»Was anderes konnte es ja gar nicht gewesen sein«, sagte ich, obwohl ich in Wahrheit manchmal doch fernsehe, und mich plötzlich daran erinnerte, dass ich eine Wiederholung dieses Selbstmords in Zeitlupe gesehen hatte. »Das ist ja sehr interessant«, sagte ich, »aber was hat das alles mit mir zu tun?«
»Na ja, wenn ich eine Story hätte, die sonst niemand hat, könnte das meinen Marktwert wieder beträchtlich erhöhen.«
»Und?«
»Und dein Vater hat niemals ein ausführliches Interview über seinen Bruder gegeben.« »Mein Gott.«
»Wenn ich einen exklusiven Insiderbericht zur Terry-Dean-Story...«
»Was machen Sie denn jetzt? Arbeiten Sie?« »Beim Homeshopping-TV.«
Autsch. »Der Job ist so gut wie jeder andere, oder?« »Ich bin Journalist, Jasper.«
»Hören Sie zu, Brian. Wenn es eins gibt, worüber mein Vater nicht sprechen will, ist es sein Bruder.« »Aber kannst du nicht...« »Nein. Kann ich nicht.«
Brian sah plötzlich aus, als habe das Leben ihn buchstäblich abgeschmirgelt, und zwar mit einer gigantischen Nagelfeile. »Na schön.« Er seufzte. »Was ist mit dir? Du weißt doch bestimmt einiges darüber, was wir nicht wissen.«
»Bestimmt.«
»Wärst du zu einem Interview bereit?« »Tut mir leid.«
»Gib mir irgendwas. Das Handbuch des Verbrechens.« »Was ist damit?«
»Es gibt eine Theorie, dein Onkel hätte es nicht geschrieben.« »Darüber weiß ich wirklich nichts«, sagte ich und sah zu, wie sich sein Gesicht zur Faust ballte.
Als ich nach Hause kam, hatte Dad sich auf der Couch zusammengerollt, las und atmete schwer. Anstatt zu sagen: »Hallo, Sohn, was macht das Leben?«, hielt er das Buch hoch, das er las: Der Titel lautete Eine Geschichte des Bewusstseins. Anstatt zu sagen: »Hi, Dad, ich hab dich gern«, verzog ich höhnisch den Mund und suchte mir im Bücherregal selbst etwas zu lesen.
Beim Stöbern nahm ich den widerlich-süßen Geruch von Nelkenzigaretten wahr. War Eddie hier? Ich hörte Stimmen aus der Küche, machte die Tür auf und sah Anouk und Eddie, die die Köpfe zusammensteckten und sich leise unterhielten. Sie wirkten überrascht, mich zu sehen, und während Eddie sein strahlendes Lächeln auf mich losließ, legte sich Anouk einen Finger an die Lippen und winkte mich zu sich.
»Ich bin gerade aus Thailand zurückgekommen«, sagte Eddie im Flüsterton.
»Ich wusste nicht, dass du weg warst«, flüsterte ich zurück.
Er runzelte plötzlich die Stirn - das Stirnrunzeln überraschte sein eigenes Gesicht.
»Jasper, ich habe schlechte Nachrichten«, sagte Anouk mit kaum hörbarer Stimme.
»Sag sie mir alle
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