Vatermord und andere Familienvergnuegen
Aber ausgerechnet das lernt man nun nicht im Koma - wie man sich seinen Mitmenschen anpasst (es sei denn, alle um einen herum schlafen). Ich hatte nur wenige Tage Zeit gehabt, das herauszufinden, es ist also keine große Überraschung, dass ich kläglich versagte, denn zwei Wochen später begannen die Feindseligkeiten. Das Schubsen, das Schlagen, die Beleidigungen und höhnischen Bemerkungen, die rausgestreckten Zungen und, was am schlimmsten für mich war, das unerträgliche Schweigen: Es waren etwa zweihundert Kinder an unserer Schule, und sie zeigten mir vierhundert kalte Schultern. Es war eine Kälte, die wie Feuer brannte.
Ich sehnte den Moment herbei, in dem die Schule aus sein würde und ich wieder in mein Bett konnte. Am liebsten hätte ich meine ganze Zeit dort verbracht. Ich liebte es, mich hinzulegen, im Licht der Leselampe, nur ein Laken über mich gezogen, das Oberbett am Fußende zu dicken Wülsten geknüllt. Mein Vater, der damals arbeitslos war (das Gefängnis war fertig und feierlich eröffnet worden, während ich im Koma lag), platzte zu jeder Tages- und Nachtzeit ins Zimmer und brüllte: »Raus aus den Federn! Herrgott! Es ist ein herrlicher Tag!« Seine Wut verzehnfachte sich, wenn sie sich gegen Terry richtete, der sich ebenfalls ins Bett legte.
Auch wenn man es heute kaum glauben mag, schaffte ich minderjähriger Schwerstbehinderter es irgendwie doch, Terrys Idol zu werden. Er verehrte mich. Er bewunderte mich. Wenn ich den ganzen Tag im Bett lag, legte sich Terry auch den ganzen Tag ins Bett. Wenn ich mich übergab, steckte sich Terry den Finger in den Hals. Lag ich zusammengerollt unter dem Laken mit Schüttelfrost und Fieber, rollte er sich zusammen und zitterte mit. Es war rührend.
Mein Vater stand Todesängste aus um ihn, seinen leiblichen Sohn, und er konzentrierte seine gesamte Geisteskraft darauf, sich düsterste Zukunftsszenarien auszumalen, die alle auf mein Konto gingen.
Eines Tages hatte er eine Idee, die für einen Erziehungsberechtigten gar nicht mal schlecht war. Wenn dein Kind eine ungesunde Fixierung hat, kannst du sie ihm nur abgewöhnen, indem du sie durch eine gesunde ersetzt. Um Terry den Wunsch, ein Krüppel zu sein, auszutreiben, setzte mein Vater auf eine Leidenschaft, die so uraustralisch ist wie der Biss einer Sydney-Trichterspinne in die Kniescheibe.
Sport.
Es war Weihnachten. Terry bekam einen Football. Mein Vater sagte zu ihm: »Na, gehen wir zwei draußen mal ein bisschen Ball spielen?« Terry wollte nicht, weil er wusste, dass ich im Haus bleiben würde. Also sprach mein Vater ein Machtwort und zerrte den strampelnden und schreienden Terry hinaus in die Sonne. Ich sah ihnen vom Fenster aus zu. Terry tat so, als hinkte er. Jedes Mal, wenn ihm mein Vater den Ball zuwarf, humpelte er jämmerlich über den Platz, um ihn zu fangen.
»Jetzt hör schon auf mit der Humpelei!«
»Ich kann nicht anders!«
»Du hast überhaupt nichts am Bein!«
»Hab ich wohl!«
Mein Vater spie aus vor Abscheu, ging grollend zurück ins Haus und schmiedete düstere Ränke, wie Väter es eben tun - aus Liebe. Er kam zu dem Schluss, dass er seinen kranken Stiefsohn eine Zeit lang von seinem gesunden leiblichen Sohn fernhalten müsse; für ihn war Krankheit eine Kombination aus Faulheit und Schwäche, eine ungute Neigung; in unserem Haus konntest du nicht einmal husten, ohne dass er das als Ausdruck deines abstoßenden Naturells interpretierte. Er war eigentlich kein gefühlloser Mensch, und er hatte durchaus auch sein Päckchen zu tragen, aber er war einer von denen, die noch nie einen Tag krank gewesen sind (abgesehen von seiner durch unbezahlte Rechnungen ausgelösten Übelkeit), und er kannte auch niemanden, der schon einmal krank gewesen war. Auch als seine Eltern starben, war keine langwierige Krankheit im Spiel gewesen (Busunfall). Ich weiß, ich wiederhole mich, aber wenn ich in meiner Kindheit etwas gelernt habe, dann das, dass der Unterschied zwischen arm und reich ein Klacks ist. Es ist die Kluft zwischen gesund und krank, die sich nicht überbrücken lässt.
Am nächsten Morgen stieg mein Vater, zwei Koffer hinter sich herziehend, zusammen mit Terry, der sein Bein nachzog, in unser Auto und verschwand in einer wild aufwirbelnden Staubwolke. Als sie zwei Monate später zurückkehrten, erzählte mir Terry, dass sie unserem hiesigen Footballteam durch den ganzen Staat nachgereist waren und sämtliche Spiele besucht hatten. Nach ein paar Wochen fielen sie der Mannschaft auf,
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