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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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die, gerührt von der Hingabe eines offenkundig gelähmten Kindes, meinen hinkenden Bruder zum inoffiziellen Vereinsmaskottchen kürte. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit vertraute mein Vater den Spielern seine Sorgen an, erzählte ihnen alles über mich und meinen unseligen Einfluss auf Terry und bat sie, ihm zu helfen, den herzhaften australischen Sportsgeist wiederzuerwecken, der das linke Bein seines Sohnes verlassen hatte. Die gesamte Mannschaft fühlte sich geehrt und nahm die Herausforderung an. Sie trugen Terry auf das makellose Grün des Spielfelds, in der sengenden Sonne weihten sie ihn ein in die Feinheiten des Spiels und brachten ihn so dazu, sein Hinken nach und nach abzulegen. Nach zwei Monaten war das Hinken verschwunden und Terry eine echte kleine Sportskanone. Mein Vater war kein Dummkopf. Die Leidenschaft hatte Terry gepackt.
    Gleich nach seiner Rückkehr trat Terry dem örtlichen Football-Verein bei. Das Spiel war rau in jenen Tagen - die Eltern sahen zu, wie die lädierten Schädel ihrer Kinder in der herbstlich kühlen Abenddämmerung zusammenkrachten, und überschlugen sich vor Begeisterung. Ihre Kinder standen ihren Mann; und selbst wenn sie mit Perücken aus eingetrocknetem Blut vom Platz kamen, waren alle hochzufrieden. Wie überall auf der Welt sind auch in Australien Initiationsriten nicht von Pappe.
    Es war von Anfang an unübersehbar, dass Terry ein überragendes Naturtalent war, ein Star auf dem Spielfeld. Wenn man sah, wie er sich durch die feindlichen Heerscharen magerer, kleiner Sportler bewegte, wie er tackelte, sich wand, abtauchte, antäuschte und passte, dann traute man seinen Augen nicht. Auf dem Spielfeld war Terry nicht mehr wiederzuerkennen. Er, der sonst in jeder erdenklichen Situation den Clown spielte, verstand im Sport keinerlei Spaß: Sobald der Anpfiff erfolgte, war es ihm mit diesem harten, ovalen Ball so ernst wie einem Herzchirurgen mit glitschigen, ovalen Herzen. Genau wie ich und wahrscheinlich die meisten Australier hatte Terry eine angeborene Aversion gegen Autoritäten. Disziplin war ihm aus tiefster Seele verhasst. Hätte ihm jemand genau in dem Moment, wo er sich einen Stuhl heranzog, gesagt, er solle sich setzen, hätte er den Stuhl vermutlich zum nächsten Fenster rausgeworfen. Aber was Selbstdisziplin betraf, war er ein Zen-Meister. Er war nicht zu bremsen. Terry drehte noch seine Runden im Garten, wenn der Mond hinter ihm aufstieg wie eine überdimensionierte Seifenblase. Wenn Stürme tobten, quälte er sich mit Sit-ups und Push-ups, und wenn die Sonne hinter dem Gefängnis versank, stapften seine Stiefel durch dickes, klumpiges, nasses Gras und Seen aus Schlamm.
    Im Sommer wurde Terry Mitglied des Kricket-Teams. Erneut glänzte er vom ersten Tag an. Als Werfer war er schnell und genau, als Schlagmann tödlich, und als Feldspieler konnte er auf sein Augenmaß und seine blitzschnellen Reflexe bauen. Ein solches Naturtalent war fast schon unnatürlich. Alle sprachen über ihn. Und als die neue Schwimmhalle eröffnet wurde, rat mal, wer da als Erster im Wasser war? Der Kerl, der sie gebaut hatte! Und wer war als Zweiter drin? Terry! Da frag ich dich: Kann der Körper eines Menschen genial sein? Oder Muskeln? Oder Sehnen? Oder Knochen? Du hättest ihn im Schwimmbecken erleben sollen. Diese göttliche Ruhe! Wenn die anderen Jungs bei einem Wettbewerb vor Aufregung zitterten, stand Terry auf dem Startblock, als warte er auf den Bus. Dann fiel der Startschuss! Terry war so schnell, dass man ihn gar nicht eintauchen sah; er pflügte durchs Wasser, als würde er von einem Jet-Ski gezogen. Damit sein Idol ihn anfeuern konnte, ging ich immer hin, versteckte mich halb hinter der Tribüne und brüllte lauter als alle anderen. Gott, diese Schwimmveranstaltungen! Es kommt mir vor, als wäre ich noch dort: der Widerhall der ins Wasser klatschenden Leiber, das Patschen nasser Füße auf den Kacheln der Schwimmhalle, der durchdringende Chlorgeruch, der jeden Einbalsamierer wehmütig stimmen würde, das schmatzende Geräusch, das entsteht, wenn man sich die Badekappe vom Kopf reißt, das Tröpfeln von Wasser, wenn eine Schwimmbrille ausgegossen wird. Und diese Jungs waren ganz verrückt danach. Als hätte ihnen jemand gesagt: »Der Mensch braucht Wasser zum Leben, also rein mit euch!« Und sie sprangen rein. Und sie waren glücklich.
    Terry war der Allerglücklichste. Footballstar, Kricketstar, Schwimmstar - mehr geht nicht. Die Stadt hatte ihren ersten Prominenten,

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