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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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enthusiastisch, fröhlich und arbeitsam, und nie kam ein böses Wort über irgendjemanden über ihre Lippen. Sie waren Menschen, gegen die man unmöglich etwas haben konnte, und oft war mir danach, sie die Straße rauf und runter defilieren zu lassen, nur um zu sehen, ob sich jemand erdreisten würde, sie nicht zu mögen.
    »Wo ist Anouk?«
    »In ihrem Zimmer. Geh ruhig rein.«
    Ich ging durch das nette, kühle Haus, die Treppe hoch und in Anouks Zimmer. Anouk kehrte nach ihren erfolglosen Ausflügen in die Welt immer wieder hierher zurück - normalerweise, nachdem ihre Jobs oder Beziehungen geplatzt waren. Sie hielten es immer für sie bereit. Es war sonderbar, sie hier in ihrem Elternhaus zu sehen, im Zimmer einer Fünfzehnjährigen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen - Anouk war jetzt zweiunddreißig, und wenn sie auszog, schwor sie jedes Mal, nie zurückzukommen, aber irgendwie ging bei ihr immer alles in die Brüche, und dann konnte sie nicht anders, als wieder so lange zu Hause zu wohnen, bis sie sich berappelt hatte.
    Ich war in mehreren von Anouks Wohnungen gewesen, und sie war stets dabei, einen Mann rauszuwerfen, der sie anwiderte, oder die Bettwäsche abzuziehen, weil der Mann, mit dem sie schlief, es mit jemand anderem getrieben hatte, oder sie wartete am Telefon, dass ein Mann anrief, beziehungsweise ging nicht ans Telefon, weil ein Mann anrief. Ich erinnere mich an einen, der sich weigerte, zu gehen; er berief sich auf sein Wohnrecht in ihrem Schlafzimmer, das er besetzt hielt. Schließlich wurde sie ihn los, indem sie sein Handy aus dem Fenster schmiss, und er schloss sich ihm kurz darauf an.
    Als ich hereinkam, war Anouk in ihrem begehbaren Schrank und zog sich um.
    »Ich bin in einer Minute fertig.«
    Ich schnüffelte ein bisschen herum. Neben ihrem Bett stand ein Foto von einem Mann mit quadratischem Kopf, einer dunklen Sonnenbrille und der Art von Koteletten, für die Elvis schuldig gesprochen werden kann.
    »Wer ist denn die Horrorshow?«
    »Der ist Geschichte. Schmeiß ihn für mich in den Mülleimer, ja?«
    Es war mehr als befriedigend, sein Foto in den Mülleimer zu schmeißen.
    »Was ist denn mit dem schiefgegangen?«
    »Ich sag dir, was schiefgegangen ist. Ich habe kein Glück. Meine Beziehungen fallen immer unter eine von zwei Kategorien: Entweder ich bin verliebt in ihn, und er liebt mich nicht, oder er liebt mich und ist kleiner als meine Großmutter.«
    Arme Anouk. Es passte ihr nicht, ewig Single zu bleiben, und es passte ihr nicht, dass es ihr nicht passte. Ihrem Leben mangelte es schmerzlich an Liebe, und sie gab sich alle Mühe, nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass sie drei Achtel einer achtzig Jahre währenden Pechsträhne hinter sich hatte. Sie fand es beschämend, sich in die Warteschlange alleinstehender Frauen einreihen zu müssen, die sich zwanghaft damit beschäftigten, sich nicht zwanghaft mit dem einzigen Gedanken zu beschäftigen, der sie zwanghaft beschäftigte. Aber er beschäftigte sie nun einmal, und zwar zwanghaft. Sie war jetzt Anfang dreißig und Single. Aber es war nicht die biologische Uhr, die da tickte. Was da tickte, war eine andere Uhr - die Uhr, der Big Ben. Und während sie immer tiefer in sich hineinhorchte, um Antworten zu finden, ganz wie es die Weisen rieten, hörte sie dort nicht eine brauchbare Erklärung für ihr Dilemma. Sie war nicht in einem Teufelskreis gefangen, es war ein ganzes System ineinandergreifender Teufelskreise. Da war einmal die Tatsache, dass sie sich immer den falschen Männertyp herauspickte - entweder »bourgeoise Yuppie-Arschlöcher«, oder auch nur »Arschlöcher«, oder, das waren sie beinahe alle, »große Kinder«. Eine Zeit lang sah es aus, als geriete sie ausschließlich an große Kinder in unterschiedlichen Verkleidungen. Außerdem war sie dazu verdammt, nie die Frau, sondern immer die andere Frau zu sein. Männer wollten mit ihr schlafen, aber keine Beziehung einzugehen. Sie war einer von den Jungs, nicht eins von den Mädchen. Und obwohl mir der psychologische Hintergrund nicht klar war, die anekdotischen Indizien sprachen dafür: Sie wollte es zu sehr. Da aber niemand genau weiß, wie es funktioniert, kann man nur versuchen, gegen diese böse Macht anzukämpfen, indem man sich einredet, nicht zu wollen, was man wirklich will.
    Als Anouk aus ihrem begehbaren Schrank trat, sah sie atemberaubend aus. Sie trug ein durchscheinendes grünes Kleid mit Blumendruck und darunter einen schwarzen Slip. Es sah aus, als hätte

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