Vatermord und andere Familienvergnuegen
von Begriff. »Jemanden wie mich«, sann ich nach. »Kennst du denn jemanden wie mich?«
»Einen Menschen.«
»Wie mich? Den möchte ich nicht kennenlernen.« Jasper? Es konnte doch unmöglich Jasper sein, oder? »Wen kennst du, der wie ich ist?«
»Dich!«
»Ich muss zugeben, dass da eine gewisse Ähnlichkeit besteht«, sagte ich langsam, als mir ein Licht aufzugehen begann. Ich beugte mich in meinem Stuhl vor. »Du meinst doch nicht...«
»Doch.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Wirklich?« »Ja.«
»Nein, wirklich?«
So begann die Geschichte zwischen Anouk und mir.
Es wurde eine dauerhafte Geschichte. Wenn ich mit dieser jungen, schönen Frau im Bett lag, empfand ich einen armseligen pubertären Stolz - ich bin das, der diesen Nacken küsst! Diese Brüste! Es sind meine zerfurchten Hände, die sich über die ganze Länge ihres sublimen Körpers streicheln! Diese Liaison war tatsächlich meine Rettung. Ich hatte bereits damit begonnen, meine Genitalien für imaginäre Untiere aus irgendeinem schottischen Versepos aus dem vierzehnten Jahrhundert zu halten.
Wenn man mit einer guten Freundin schläft, ist das eigentlich Vertrackte der Anfang. Man kann nicht einfach von null auf Ficken schalten, ohne sich zu küssen, und Küssen ist etwas sehr Intimes. Wenn man sich falsch küsst, sendet man die falsche Botschaft. Aber wir mussten uns küssen, um den Motor warmlaufen zu lassen, sozusagen. Nach dem Sex küssten wir uns selbstverständlich nie. Der Motor soll sich ja nicht weiterhin warmlaufen, nachdem man bereits angekommen ist, oder? Aber dann fingen wir doch noch mal damit an. Das brachte mich durcheinander. Ich dachte, ein Fick unter Freunden sollte leidenschaftlich und belebend sein. Dazu war ich mehr als bereit. Sex als Vergnügen - sündig, aber harmlos wie Schokoladeneis zum Frühstück. Aber es war ganz und gar nicht so. Es war zärtlich und liebevoll, und danach hielten wir uns im Arm und streichelten einander manchmal sogar. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Wir wussten beide nicht, was wir sagen sollten, und nur um diese peinliche Gesprächspause zu überbrücken, vertraute ich Anouk mein großes Geheimnis an, dass ich nun doch sterben würde.
Sie nahm es schwerer, als ich gedacht hatte. Sie nahm es sogar beinahe schwerer als ich. »Nein!«, kreischte sie und stürzte sich dann mit Feuereifer auf eine ganze Reihe von alternativen Heilmethoden: Akupunktur, seltsam klingende Pflanzen, irgendeine beängstigende Kur, die »Seelengrundreinigung« genannt wurde, Meditation und die Heilkraft positiven Denkens. Aber man kann den Tod nicht einfach positiv wegdenken; man könnte genauso gut zu denken versuchen: »Morgen wird die Sonne im Westen aufgehen. Im Westen. Im Westen.« Das führt zu gar nichts. Die Natur hat Gesetze, die sie gnadenlos durchsetzt.
»Schau mal, Anouk, ich will nicht den Rest meines Lebens gegen den Tod ankämpfen«, sagte ich.
Sie holte alle Einzelheiten aus mir heraus. Ich sagte ihr alles, was ich wusste. Es tat ihr so leid um mich, dass ich weinte.
Dann liebten wir uns in einem Sturm des Begehrens. Wir fickten den Tod.
»Hast du es Jasper gesagt?«, fragte sie danach.
»Das mit uns?«
»Nein - das mit dir.«
Ich schüttelte den Kopf, leise beschämt, weil ich mich über die Vorstellung freute, wie sehr es ihm leidtun würde, dass er mich verachtet hatte. Er würde weinend zusammenbrechen, von Reue zermartert. Dieser Gedanke wirkte richtig belebend. Die Schuld, die einem anderen die Seele zerfrisst, kann durchaus etwas sein, das das Leben lebenswert macht.
Nach diesem Tag sprachen wir nicht mehr viel über meinen bevorstehenden Tod, aber ich merkte ihr an, dass sie darüber nachdachte, weil sie mich ständig dazu zu bringen versuchte, meine vom Krebs zerfressenen Organe der Wissenschaft zu vermachen. Dann fragte sie eines Abends, als wir uns an der Glut des vorangegangenen wilden Liebesspiels noch die Hände wärmten: »Was willst du mit dem Rest deines Lebens machen?«
Es war eine gute Frage. Da der Rest meines Lebens nicht mehr die etlichen Milliarden Jahre umfasste, die ich mir vorgestellt hatte - was wollte ich da anfangen? Zum ersten Mal in meinem Leben fiel mir darauf nichts ein. Ich hing völlig in der Luft. Ich konnte nicht einmal mehr lesen. Was für einen Sinn hatte es, mein Wissen über das Universum und die es bevölkernden Arschlöcher zu vertiefen, wenn ich nicht mehr da war, um mich zähneknirschend über meine Ergebnisse zu ärgern? Ich spürte in mir
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