Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
bereits meine bittere Nichtexistenz. Es gab so vieles, das ich noch tun wollte. Ich dachte an all das, was ich hätte sein können. Als ich das Anouk erzählte, klang eines so absurd wie das andere: Bergsteiger, Verfasser historischer Liebesromane, Erfinder, dem man eine große Entdeckung verdankte wie Alexander Graham Bell, dem Wegbereiter des Telefonsex.
    »Sonst noch irgendwas?«
    »Eines wäre da noch.«
    »Was?«
    »Ich dachte immer, ich würde einen guten Rasputin abgeben.«
    »Was meinst du damit?«, fragte sie.
    Ich kramte meine Notizbücher hervor und zeigte sie ihr. Ich wollte reiche und mächtige Männer mit meinen Ideen beeinflussen, spektakuläre Ideen, die ich in ein gigantisches goldenes Ohr flüsterte. Sie sprang darauf mit der für Spinner typischen Energie an. Anscheinend glaubte sie, wenn ich nur einen von meinen Träumen verwirklichen könnte, würde ich zufrieden ins Grab sinken. Sinkt irgendjemand zufrieden ins Grab? Wahre Zufriedenheit kann es nicht geben, solange man noch irgendeinen Floh im Ohr sitzen hat. Und ganz gleich, wer man ist - irgendein Floh beißt einen immer.
     
    Dann platzte in einer tristen Nacht Jasper mit der höchst unwahrscheinlich klingenden Neuigkeit in mein Zimmer, Oscar und Reynold Hobbs seien gekommen, um mich kennenzulernen. Offensichtlich hatte Anouk zwei der mächtigsten Männer dieser Welt angeschleppt. Ein leidenschaftlicher Hass auf Anouk wallte in mir auf. Was für ein abscheulicher Akt der Grausamkeit, einem Sterbenden seinen letzten Wunsch zu erfüllen! Kapiert ihr nicht, dass er das nicht will? Was er sich tatsächlich wünscht, ist, nicht zu sterben.
    Ich ging zu ihnen nach draußen. Reynold war herrisch und resolut; sogar sein Blinzeln war gewichtig. Und sein Sohn und rechtmäßiger Erbe - intelligent, ernsthaft, sodass es einem ästhetischen Affront gleichkam -, das perfekte Endprodukt der modernen Dynastie (in modernen Dynastien paart sich jede zweite Generation mit Supermodels, die das Erbgut der hohen Wangenknochen in der Blutlinie gewährleisten). Auch auf die beiden sich ihrer Bestimmung so sicheren Männer verspürte ich leidenschaftlichen Hass. Ich hatte mich endlich so weit gebracht, an meinen Tod zu glauben, aber ihren konnte ich mir unmöglich vorstellen. Sie wirkten einfach unverwundbar.
    Reynold sah mich an, nahm Maß und fand offenbar, ich sei zwei Nummern zu klein.
    Und warum waren sie bei mir zu Hause? Um sich meine Ideen anzuhören. Wie hatte Anouk das eingefädelt? Es war bemerkenswert. So viel hatte noch nie jemand für mich getan. Ich grub ein paar alte Notizbücher aus und las ihnen ein paar idiotische Ideen vor, die mir die Jahre über gekommen waren. Was im Einzelnen, ist nicht wichtig, nur, dass sie allesamt Flops waren. Während ich vorlas, verhärteten sich die Gesichter der beiden Männer. Plötzlich hatten sie nichts Menschliches mehr an sich.
    Nachdem er sich alles angehört hatte, zündete sich Reynold mit großer Geste eine Zigarre an. Was hat es mit reichen Männern und Zigarren auf sich? Glauben sie, Lungenkrebs sei eine Sache für den Plebs, Zungenkrebs hingegen für die höheren Stände? Dann trug mir Reynold den wahren Grund für ihr Hiersein vor. Es ging ihnen nicht um meine Ideen, sondern um meinen Input für eine Fernsehminiserie, die sie produzieren wollten über - wen oder was sonst? - Terry Dean.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte gar nichts mehr sagen.
    Reynold fuhr sich mit einer Hand über den Oberschenkel, und plötzlich sagte der Sohn: »Tja, wir gehen dann mal wieder.« Was für ein Teamwork! Was für ein blindes Einverständnis!
    Dann gingen sie.
    Ich lief hinaus ins Labyrinth, voller Wut auf meinen toten Bruder, und flehte das Universum an, mich auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu schicken und mir wenigstens fünf Minuten zu gewähren, gerade lange genug, um ihm ins Auge zu spucken. Was war das nur für ein ruheloser Geist? Seinetwegen war meine Vergangenheit eine große offene Wunde, unverheilt und unheilbar. Infiziert und infektiös.
    Ich war wie betäubt. Ich watete durch die Nacht wie durch einen Fluss. Die Enttäuschung war keine allzugroße Überraschung; natürlich wollte ein Teil von mir auch erfolgreich sein. Man kann doch nicht sein Leben lang ein Versager bleiben, oder? Kann man natürlich doch. Und das war genau das Problem.
    »Marty!«
    Anouk. Sie kam auf mich zugerannt. Ihr Anblick tat mir verdammt gut. Ich war nicht mehr wütend auf sie, weil sie den Geist meines toten

Weitere Kostenlose Bücher