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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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hörten.
    Reden wir nicht drum herum. Die Gesellschaft veränderte sich, das war überall zu sehen. Irgendwer eröffnete sogar ein Kannibalen-Restaurant in Surry Hills. Ich sage Ihnen, ganz Australien drehte durch. Reformen wurden zur fixen Idee. Ich glaube, die Leute begriffen sogar, dass es nicht die Ideen an sich waren, sondern die Idee hinter den Ideen, die Idee, dass nichts-dagegen-spricht, eine Neuerung nach der anderen einzuführen und wo möglich unsere sklavische Verbundenheit mit der Vergangenheit auszumerzen. Warum? Weil die Vergangenheit zu jede Zeit das Schlimmste ist, was der Gegenwart passieren kann.
    Welche Verblendung und Verdrängung mir in diesem Lebensabschnitt widerfuhr! Die Chemotherapie schien anzuschlagen; die Krebszellen schrumpften. Mein eigener Tod begann in den Hintergrund zu rücken. Ich fühlte mich so gut, dass mich noch nicht mal die grausamen Karikaturisten ärgerten, die meinen Mund so wahnsinnig überzeichneten, dass er beinahe so groß wie mein ganzer Kopf erschien. Man sagt, Macht korrumpiere - und wie! Das Ich, das ich trotz der ganzen geheuchelten Selbstzerfleischung immer geliebt habe, spiegelte sich in den Augen der anderen wider. Der Wunschtraum eines jeden Egoisten! Das beflügelte mich richtig! Ich war so damit beschäftigt, mich selbst zu reformieren, dass ich nicht merkte, dass mir genau die Faktoren verloren gingen, die mich zum Erfolg geführt hatten - mein gnadenlos negativer Blick auf das menschliche Verhalten, mein zynischer und pragmatischer Blick auf den menschlichen Geist und seine Beschränktheit. Der Erfolg hatte mich aus dem Gleichgewicht gebracht, was dazu führte, dass ich Menschen vertraute, und weit schlimmer - ich zählte auf sie. Schon gut, ich werde es aussprechen: Ich hätte auf meinen Sohn hören sollen, der mir durch Mimik und Tonfall, wenn auch nicht mit Worten, zu verstehen gegeben hatte: »Dad, du vermasselst alles!«
    Und wo war mein treuer Sohn zu dieser Zeit? Analysieren wir ihn ein wenig: Wenn das oberste Gebot beim Streben nach Selbsterhaltung lautet, über den Vater hinauszuwachsen, dann musste sich angesichts der unerwarteten Aussicht, dass ich, bis dato der Inbegriff eines Versagers, plötzlich zu Ruhm und Reichtum kommen könnte, Jaspers Feindseligkeit verstärken. Je höher ich stieg, desto unmöglicher wurde es für ihn, seinen Auftrag, mich zu überholen, zu erfüllen. Kurz gesagt, mein Erfolg wurde für ihn zur tödlichen Gefahr.
    Ich erinnere mich, dass er mich zu einem sehr frühen Zeitpunkt, gleich nach der Millionärsparty, anrief.
    »Was zum Teufel treibst du da eigentlich?«, fragte er, sobald ich abhob.
    »Hallo, mein Sohn«, erwiderte ich - ich wusste, wo ich ihn am härtesten treffen konnte.
    »Das kann unmöglich gut ausgehen. Das musst du doch selbst wissen.«
    »Kommst du zu meiner Hochzeit?«
    »Du machst wohl Witze? Wer würde dich schon heiraten?«
    »Caroline Potts.«
    »Die Exfreundin deines Bruders?«
    Dieser kleine Scheißkerl. Würde es ihn umbringen, ein klein wenig versöhnlicher zu sein? Okay, ich hatte ihn über die Jahre hinweg immer wieder psychisch misshandelt, aber ich hatte es nicht aus irgendeiner perversen Laune heraus getan, sondern aus Liebe. Dafür könnte er mir doch beim einzigen glücklichen Moment in meinem Leben ein bisschen den Rücken stärken und nicht meinen verdammten Bruder erwähnen. Aber dies tat ja nicht nur Jasper. Jeder einzelne Zeitungsartikel, wirklich jeder einzelne, bezeichnete mich als Terry Deans Bruder. Sie konnten einfach keine Ruhe geben. Der Sack war seit zwanzig Jahren tot!
    Ich wollte einen zornigen Appell an das australische Volk richten, Terry Dean zu vergessen, aber so fügsam ist das kollektive Gedächtnis einfach nicht. Daher blieb mir nichts übrig, als es mit Fassung zu tragen, sogar wenn ich den verträumten Ausdruck auf Carolines Gesicht sah, sobald Terry erwähnt wurde.
    Als Jasper zur Hochzeit erschien, starrte er Caroline an, als versuche er zu verstehen, was im Kopf eines Selbstmordattentäters vorgeht. Danach sah ich ihn sehr lange nicht. Im Chaos und Durcheinander dieser Tage im Rampenlicht mied er mich vollkommen. Er gratulierte mir nicht mal, kein Wort über all meine Reformen, Interviews, Debatten, Ansprachen und Hustenanfällen vor Publikum. Er hatte null zu sagen zu meiner, von der Chemotherapie hervorgerufenen unübersehbar abgezehrten Erscheinung, und als meine Beliebtheit beim Volk langsam zurückging, rief Jasper mich überhaupt nicht mehr an.

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