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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Umweltschutz und Bildungsreform - und das Irre war, dass ich beinahe alle meine Reformen durchsetzen konnte. Kriminelle durften von jetzt an wählen, ob sie lieber zur Armee gehen wollten als ins Gefängnis; es gab Ermäßigungen für solche, die Selbsterkenntnis beweisen konnten, und die Verblödeten und Furchtsamen wurden steuerlich heraufgestuft; jeder Politiker, der dabei erwischt wurde, wie er auch nur ein Wahlversprechen brach, wurde in einer dunklen Gasse von einem Kerl namens »Knochenbrecher« in die Mangel genommen; jeder Gesunde musste mindestens einen Kranken so lange pflegen, bis er tot oder genesen war; wir pickten uns x-beliebige Menschen heraus und machten sie für einen Tag zum Premierminister; und in dieser Zeit wurden sämtliche Drogen legalisiert, um zu sehen, was passieren würde. Sogar meine umstrittenste Idee wurde aufgegriffen: Ein Kind nach den Grundsätzen einer Religion zu erziehen, das heißt, den kindlichen Geist einzufrieren, wenn er am verletzlichsten war, wurde als Kindesmisshandlung gewertet. All dies regte ich an, und die Leute sagten: »Na schön, mal sehen, ob sich das machen lässt.« Es war unfassbar!
    Natürlich handelte ich mir als Person des öffentlichen Lebens für die Demütigungen, die bislang nur der Unterhaltung eines handverlesenen Feindeskreises gedient hatten, auch Kritik ein. Man bedachte mich mit jedem vorstellbaren Synonym für »verrückt« und Schlimmerem. Für einen Australier ist es die schlimmste Beleidigung, die man einem Menschen überhaupt an den Kopf werfen kann, und die einfachste Methode, ihn so richtig vor den Kopf zu stoßen, war, wenn man ihn als »Gutmenschen« bezeichnet. Ein Gutmensch ist - nur um das klarzustellen - ein Mensch, der Gutes tut oder versucht zu tun. Und damit keine Missverständnisse aufkommen: In den Augen des Schmähenden handelt es sich dabei definitiv um eine Beleidigung, nicht um ein Kompliment, und ein Gutmensch zu sein, ist etwas, wofür man sich schämen muss, anders als anderswo, im Himmel zum Beispiel, wo das einen Vorteil darstellt. Daher griffen meine Kritiker zu dieser »Beleidigung«, um mich herabzusetzen. Nur das hässliche Hohnlächeln auf ihren Gesichtern hielt mich davon ab, ihnen dafür zu danken.
    Die meisten Menschen aber waren auf meiner Seite. Es gefiel ihnen, dass ich die Probleme wirklich anpackte - dass es bei meinen grundlegendsten Reformen um Einsamkeit, Tod und Leid ging. Sie schienen meine Grundidee zumindest irgendwie zu begreifen: dass wir uns auf dem Weg zur ersten am Tod orientierten Gesellschaft befanden. Sie sahen ein, dass sich eine sinnvolle Lebensperspektive nur dann ergibt, wenn jeder Einzelne im Land sich mit der Tatsache abfindet, dass der Tod ein unüberwindliches Problem darstellt, das wir nicht dadurch lösen können, dass wir gnadenlos immer mehr Menschen produzieren - damit der Name Smith alle Zeitalter überdauert -, und auch nicht dadurch, dass wir unsere Nachbarländer hassen oder uns an einen Gott ketten, der eine endlose Liste mit Verboten für uns bereithält. Ich hatte sie schon fast so weit, dass sie mir glaubten, wenn wir, statt die Nationalhymne zu singen, jeden Tag mit einem kleinen Trauergottesdienst für uns selbst begännen, wenn wir uns alle in unser unausweichliches Dahinwelken schickten und endlich aufhörten, die heroische Überwindung unseres bedauerlichen Schicksals anzustreben, würden wir vielleicht nicht ganz so übers Ziel hinausschießen wie Hitler, den der Gedanke an den Tod so verstörte, dass er sechs Millionen Juden umbrachte, um sich davon abzulenken.
    Okay, ich geb's zu, meine Revolution war eine Farce, aber eine todernste. Wenn die Leute darüber lachten oder mir meinen Willen nur ließen, um zu sehen, was bei meinen Ideen herauskommen würde, dann vielleicht deshalb, weil sie trotz ihres Lachens ein Körnchen Wahrheit darin erkannten. Vielleicht auch nicht. Dass Utopien nicht funktionieren, ist mir sowieso klar. Die Gesellschaft ein bisschen durchlässiger und etwas weniger verlogen zu machen, das war auch schon alles, was ich hatte erreichen wollen. Jetzt weiß ich, dass diese Ziel alles andere als bescheiden war; ich griff nach dem Mond. Und doch - während ich weiterhin die Millionen ausspuckte und so den Teil des Wählergehirns besänftigte, der mit dem Portemonnaie verbunden ist, gelang es mir nebenbei, die Leute davon zu überzeugen, dass die Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung erschüttert werden könnten, wenn sie nicht auf mich

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