Vatermord und andere Familienvergnuegen
so herumgefahren war. Es war eine dunkle Nacht, die Sterne waren unter Wolken begraben. Wir fuhren ziellos durch die Gegend, und ich hielt einen schwachsinnigen Monolog darüber, dass der Straßenverkehr nichts anderes sei als ein wütender Mob, jeder in seiner eigenen fahrenden Waffe, in der er von unaufhörlicher Bewegung träumt.
»He! Halt an!«, rief Jasper.
Ohne nachzudenken, war ich zu unserer ersten Wohnung gefahren, einem Ort, an dem mein mentaler Motor mehrfach verreckt war. Wir klopften an, und Jasper erklärte einem Mann in schmuddeligen Boxershorts, wir würden uns gern umsehen, aus demselben Grund, aus dem Menschen sich auch Fotoalben ansahen. Der Typ ließ uns rein. Während wir durch die Zimmer flanierten, kam mir der Gedanke, dass wir diesen Ort ruiniert hatten, als wir hier wohnten, dass unser deprimierender Nachlass noch in jeder ungelüfteten Ecke herumwaberte. Mir kam es vor, als hätten wir unsere Grundmelancholie ausgedünstet, und wahrscheinlich hatte unsere mit der Luft verbreitete Gemütskrankheit jedes arme Schwein infiziert, das nach uns hier eingezogen war.
Wieder im Auto fetzten wir im Zickzack von einem altvertrauten Ort zum nächsten - besetzte Häuser, Parks, Supermärkte, Apotheken, Banken, was immer unser Drunter und Drüber irgendwann einmal beherbergt hatte. Ich könnte keinen Grund für diese unromantische Reise auf der Straße der Erinnerungen nennen, aber zumindest kann ich sagen, dass ich überall unsere früheren Ich deutlich vor mir sah: Es war, als würden wir unsere eigene Spur zurückverfolgen und in jedem Abdruck von damals unseren Fuß von heute finden. Es gibt nichts Besseres als so einen Nostalgietrip, um einen sowohl seiner Vergangenheit wie seiner Gegenwart zu entfremden. Man sieht zudem wie statisch man selbst ist, das, was man aus Mangel an Mut oder Kraft nicht geändert hat, und noch dazu all die alten Ängste, die man immer noch mit sich herumschleppt. Die Enttäuschung über das eigene Versagen ist greifbar. Es ist schrecklich, wenn man immer wieder sich selbst über den Weg läuft.
»Das ist irgendwie bizarr, oder?«, meinte Jasper.
»Bizarr trifft es nicht ganz.«
Wir sahen uns an und lachten. Das einzig Positive an diesem Ausflug war die Erkenntnis, dass unsere gegenseitige Abneigung nicht so abgrundtief reichte, wie wir geglaubt hatten. Wir unterhielten uns im Auto, tauschten Erinnerungen aus und lachten. Es war die einzige Nacht, in der ich das Gefühl hatte, in meinem Sohn einen Freund zu haben.
Gegen 3 Uhr morgens wurden wir müde und verloren die Lust. Wir beschlossen, als Absacker noch ein Bier im Fleshpot zu trinken, dem Striplokal, das ich vor ein paar Jahren gemanagt und mit meinem roten Sportwagen beinahe demoliert hatte.
Ein Türsteher stand davor und rief: »Immer reinspaziert! Tolle Stripperinnen, Jungs! Immer rein mit euch!«
Wir traten ein und gingen durch den vertrauten schwarzen Flur mit den flackernden roten Glühbirnen. Der Raum war voller Qualm; der meiste stammte von Zigarren, ein bisschen aber auch von einer Nebelmaschine auf der Bühne. Die Stripperinnen bewegten sich auf ihre übliche unerotische Weise an den Stangen vor den Gesichtern von Geschäftsleuten. Man wäre nie auf die Idee gekommen, dass hier mal ein durchgeknallter Spinner einen roten MGB auf die Tanzfläche gefahren hatte. Ich schaute mich um - die Rausschmeißer waren neu. Die gleichen Muskelpakete, die gleichen stupiden Mienen, andere Gesichter. Auch die Mädchen waren neu. Sie schienen mir jünger zu sein als die Mädchen, die ich früher immer engagiert hatte. Ich! Stripperinnen engagiert! Ich! Mit solchen Stielaugen! Ich! Entfesselt! In einer Polonaise dürftig bekleideter Mädchen, die gerade um Schamhaaresbreite mündig geworden waren! Allerdings habe ich in den zwei Jahren, in denen ich Mädchen getestet, angeheuert, gemanagt und gefeuert habe, mit keiner der Stripperinnen geschlafen, drei ausgenommen. In diesem Gewerbe ist das gar nichts.
Wir setzten uns vorne an die Bühne, bestellten unsere Drinks und nippten daran.
»Mir gefällt's hier nicht«, meinte Jasper.
»Mir auch nicht«, sagte ich. »Warum nicht?«
»Tja«, sagte er, »mir ist die Logik von Striplokalen nicht klar. Bordelle machen Sinn. Bordelle verstehe ich. Du willst ficken, du gehst hin und tust es, hast deinen Orgasmus und gehst wieder. Sexuelle Befriedigung. Einfach. Nachvollziehbar. Aber Striplokale - im besten Falle, also wenn es einen nicht direkt anwidert, wird man sexuell
Weitere Kostenlose Bücher