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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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heiterem Himmel: »In welcher Beziehung stehen Sie zu Tim Lung?«
    Zu wem?
    Dann fand ich Folgendes heraus: Die beiden Nachtclubs, die früher von Eddie und dann kurzzeitig von mir gemanagt worden waren, gehörten einem thailändischen Geschäftsmann namens Tim Lung. Bislang waren von den sechshundertvierzig Millionären, die wir geschafft hatten, achtzehn irgendwann Angestellte dieses Tim Lung gewesen. Eddie hatte seit vielen Jahren für ihn gearbeitet und tat es offenbar immer noch. Das Geld, das Eddie mir geliehen hatte, damit ich mein Labyrinth bauen konnte, kam in Wirklichkeit direkt von Tim Lung. Dieser Mann, von dem ich bis dahin nie gehört hatte, hatte ohne mein Wissen mein Haus finanziert. Er hatte mich als Manager in einem seiner Lokale eingestellt. Ich konnte mich nicht rausreden. Ich hatte Verbindungen zu ihm. Genauer gesagt, er hatte aus einem unerfindlichen Grund Verbindungen zu mir. In meinem Fall waren es bisher reine Indizienbeweise, aber belastende. War's das? Nein, das war noch nicht alles. Es war genug, um mir den Hals zu brechen, aber es war noch nicht alles.
    Weitere Nachforschungen brachten ans Licht, dass Tim Lung eine kleine Flotte von Fischkuttern besessen hatte, die von den französischen Behörden wegen des Schmuggels von Waffen und Munition von Frankreich nach Nordafrika aus dem Verkehr gezogen worden war. Das hieß, als ich vor über zwanzig Jahren in Paris am Ufer der Seine Kisten auf- und abgeladen hatte, hatte ich schon für dasselbe Arschloch gearbeitet. Tim Lung - er steckte hinter dem Krieg in der Unterwelt, der vor all diesen Jahren schließlich zu Astrids Tod geführt hatte! Mir schwirrte der Kopf. Ich wälzte diese Erkenntnisse wieder und wieder hin und her: Tim Lung - ich hatte in Frankreich für ihn gearbeitet, er hatte mir einen Job in Australien besorgt, er hat mein Haus finanziert und schließlich das, was ich ihm schuldete, eingefordert, indem er bei dem Millionärsprojekt abkassierte. Hatte er das von Anfang an im Sinn gehabt? Aber wie wäre das möglich? Und wie sollte mir irgendwer je die unglaubliche Wahrheit abkaufen, dass ich noch nie von diesem Mann gehört hatte? Von einem Mann, mit dem ich so viele Jahre meines Lebens in Verbindung gestanden hatte? Dieser zwielichtige thailändische Geschäftsmann entpuppte sich als eine der Schlüsselfiguren in meinem Leben, und ich hörte gerade zum ersten Mal von ihm. Unfassbar!
    Ich recherchierte im Internet und fand ein paar grobkörnige Fotos und einen Link zu einer thailändischen Firmen-Website, auf der ein altes Interview zu lesen war. Er war ein großer, schlanker Mann Ende fünfzig. Er hatte ein freundliches Lächeln. Nichts an seinen Gesichtszügen verriet einen Hang zur Kriminalität. Er hatte noch nicht mal zu eng beieinander- oder zu weit auseinanderstehende Augen. Als ich den Computer ausmachte, war ich auch nicht schlauer, und kurz darauf führte die Polizei eine Razzia in unseren Büros durch und nahm alle Computer mit. Sie gruben immer mehr Leute aus, die ich mal gekannt und gezielt wieder vergessen hatte; Leute, mit denen ich kurz Mindestlohnjobs geteilt hatte, Insassen der Nervenheilanstalt, selbst Prostituierte erschienen aus der Versenkung, um ihren Senf dazuzugeben. Jeder hatte das Kriegsbeil gegen mich ausgegraben.
    Es war das Wirtschaftsverbrechen des Jahrhunderts. Ich war geliefert! Ich war die Personifikation von allem, was in diesem Land verhasst war - noch so ein neureiches Schwein, das anständige, hart arbeitende Durchschnittsaustralier um ihren Lohn betrog. Ich war offiziell eine Drecksau. Eine Sau aus Dreck! Ein Kotzbeutel. Ein Beutel voll Kotze! Ich war all das und noch viel mehr. Zu meiner Überraschung hatte man mich auch rassisch zugeordnet. Den Juden! Obwohl ich ebenso wenig mit irgendwelchen jüdischen Mitbürgern zu tun gehabt hatte wie mit den Amischen, bezeichneten mich die Zeitungen als den »jüdischen Geschäftsmann Martin Dean«. Und zum ersten Mal wurde ich auch zutreffend als »Halbbruder« von Terry Dean bezeichnet. Das war's. In dem Moment wusste ich, dass ich geliefert war: Sie dividierten meine Verbrechen und die meines vergötterten Bruders auseinander. Sie wollten verhindern, dass ich Terrys Vermächtnis mit in den Dreck zog.
    Meine lebenslange Furcht vor Menschen bestätigte sich nun - die Menschen erwiesen sich als absolut beängstigend. Das ganze Land verfiel in einen Taumel des Hasses, eines Hasses, so intensiv und allumfassend, dass es unvorstellbar schien, dass

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