Vatermord und andere Familienvergnuegen
dieselben Menschen noch fähig waren, ihren Lieben abends einen Kuss zu geben. In diesem Augenblick erkannte ich, dass mein Schicksal - als Hassobjekt - sich erfüllte, und zugleich verstand ich, dass an der Sache mit der negativen Energie etwas dran war. Die Wogen der Abscheu erschütterten mich bis zu den Grundfesten, sie gingen mir an die Substanz. Wirklich, man fragt sich, wie sie einem solchen Mob die Abschaffung der Todesstrafe schmackhaft hatten machen können. Ich erlebte nicht zum ersten Mal, wie sich der Hass meiner Landsleute zu Todesstrahlen bündeln konnte: Ich erinnere mich noch gut an den Minister, dessen Ehefrau einmal eine Designer-Sonnenbrille »vom Geld der Steuerzahler« bezahlt hatte, womit die Karriere des Ministers praktisch beendet war. Die Telefonrechnung seines Sohnes! Oder die Abgeordnete, die gezwungen war zu dementieren, sie habe bei der Royal Easter Show keinen Eintritt zahlen wollen. Die Leute tobten, weil sie zwölf Dollars hatte sparen wollen. Zwölf lausige Dollars! Stellen Sie sich vor, was sie mit mir anstellen würden!
Natürlich konnten die schockierten Mienen meiner politischen Gegner ihr wahres Entzücken nur unvollkommen verhehlen; alles, was ihnen Gelegenheit gab, sich im Namen der Wählerschaft zu entrüsten, kam ihnen wie gerufen. Es war so leicht, mich zu Staub zu zermalmen. Ich ersparte ihnen die Mühe, erst ein Skandalsüppchen zu kochen, um mich dranzukriegen. So brauchte nur jeder Entsetzen zu heucheln und schnell zu schalten, damit es aussah, als hätte er mich zur Strecke gebracht. Sie standen Schlange, um mich im Gossenjargon zu verurteilen, sie schubsten einander beiseite, weil jeder die Lorbeeren für meinen Sturz ernten wollte.
Oscar war nicht in der Lage, dem ein Ende zu bereiten, wenn er dies überhaupt wollte. Reynold hatte die Sache in die Hand genommen. Anouk versuchte, ihrem Schwiegervater gut zuzureden, und bat ihn, mir zu helfen, doch Reynold blieb hart. »Dafür ist es jetzt zu spät«, erklärte er. »Du kannst eine Flutwelle von Hass nicht mehr abwenden, wenn sie schon ans Ufer schlägt.« Da hatte er recht. Es hatte keinen Zweck, idiotisch meine Unschuld zu beteuern. Ich kannte das. Die ganze Welt hatte mich längst abgeurteilt, wieso war ich also überhaupt noch da? Man sah es ihren Blicken an - sie waren erstaunt, dass ich noch atmete. Unverschämtheit! Ich überlegte, an ihre Nächstenliebe zu appellieren. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, ihnen zu sagen, dass ich Krebs hatte, ließ es aber dann lieber sein. Ich hatte in ihre Brieftaschen gegriffen, und dafür gab es keine mildernden Umstände. Man könnte ihnen erzählen, mir würde von einem blinden Koch, der mich für eine Kartoffel hält, bei lebendigem Leibe die Haut abgeschält, und sie würden noch applaudieren. Applaudieren! Wie es scheint, hat das christliche Denken in unserer Gesellschaft nur in der Auge-um-Auge-Abteilung stetige Fortschritte gemacht, aber nicht in puncto aktiver Vergebung.
Die größte Ironie dabei war, dass die Chemotherapie abgeschlossen war und angeschlagen hatte. Ich hatte also mein Leben zurückbekommen, aber nun war es unerträglich. Die Buddhisten sehen es richtig: Schuldige sind nicht zum Tode verurteilt, sondern zum Leben.
Bedauerlicherweise geriet auch der arme Jasper unter schweren Beschuss. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass schließlich er die Suppe seines Vaters auslöffeln musste. Er bekam immer öfter Nachrichten wie: »Bitte sag deinem Vater, dass ich ihn kaltmachen werde!« Armer Kerl! Er wurde zum Boten von Morddrohungen. Und glauben Sie nur nicht, meine Frau wäre besser weggekommen. Arme Caroline! Armes Lämmchen! In der Hoffnung, Dinge gerade rücken zu können, willigte sie dummerweise ein, Interviews zu geben. Sie begriff nicht, dass die Leute ihr längst eine klar definierte Rolle zugewiesen hatten, von der sie niemals freiwillig abrücken würden. Wir hatten uns als unwürdig erwiesen, Australier zu sein, und damit unser Recht auf einen fairen Kampf verwirkt. Sie nahmen sie auseinander. Meine einzige wirkliche Lüge kam ans Licht, und es wurde bekannt, dass Caroline und ich zusammen aufgewachsen waren. Und weil wir sie zur Millionärin gemacht hatten, hielt man sie für genauso schuldig wie mich. Man brachte sie öffentlich im Fernsehen zum Weinen! Die Liebe meines Lebens! Auf der Straße wurde sie von Frauen angespuckt. Spucke! Richtige Spucke! Und die Spucke war nicht mal immer weiß, sondern gelegentlich von einem fiesen
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