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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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zum Tod klar wurde? Dass es mir am Arsch vorbeiging: Ich wollte mir selbst kein Denkmal errichten. Ich hatte eine Erleuchtung. Ist dir das auch schon mal passiert? So was ist wirklich toll! Meine ging so: Ich kapierte, dass ich mich umgebracht hatte, weil ich ewig leben wollte. Ich hatte mein Leben weggeworfen für ein bescheuertes Ich-weiß-nicht-was...«
    »Projekt«, sagte ich. Dad und ich blickten uns an.
    »Projekt. Genau. Jedenfalls schwor ich mir, wenn ich da noch mal rauskäme, würde ich nur noch für den Augenblick leben, einen Scheiß auf andere geben und meinen Nachbarn einen guten Mann sein lassen. Ich schwor mir, Harrys Ratschlag zu befolgen und den Rest meines Lebens anonym zu bleiben.«
    Terry wandte sich plötzlich mit aufrichtigem, ernstem Blick an Caroline.
    »Ich wollte dich anrufen, aber dann musste ich jedes Mal an diese Zelle denken, diese Todeszelle, und ich begriff, dass meine Liebe zu dir in gewisser Weise besitzergreifend und genau wie mein Rachefeldzug im Sport nur eine Maßnahme war, mich gegen... ich weiß auch nicht, gegen den Tod zu wehren. Deswegen beschloss ich, nur noch Prostituierte zu lieben. Da besteht keine Gefahr, in die alten Strickmuster von Eifersucht und Besitzansprüchen zu verfallen. Ich habe mich selbst aus dem Rennen genommen, wie Harry gesagt hat. Ich bin frei, und zwar seit ebenjenem Tag. Und weißt du, was ich heute mache? Jeden Morgen sage ich mir nach dem Aufwachen zehnmal: >Du bist ein seelenloses sterbliches Tier mit einer beschämend kurzen Lebensdauern Dann geh ich hin und mach es mir noch ein bisschen bequemer, ob nun die Welt untergeht oder nicht. Unsere Profite in der Verbrechenskooperative sind nicht sensationell, aber wir verdienen ganz anständig, und wir können es uns leisten, wie die Könige zu leben, denn Thailand ist spottbillig!«
    Ein langes Schweigen folgte, und niemand wusste, wohin er den Blick wenden sollte.
    »Australien liebt dich«, sagte Dad schließlich.
    »Und dich hasst es«, erwiderte Terry.
    Ungeachtet ihrer so unterschiedlichen Lebenswege - zwei entgegengesetzte, wenn auch beides selten beschrittene Wege - waren beide Brüder zum selben Schluss gelangt, Terry durch seine Veranlagung, Erleuchtung und kathartische Wiedergeburt nach seinem Nahtodtrauma, und Dad durch Reflexion und indem er sich obsessiv intellektuell mit dem Tod befasste. Der ungebildete Terry, von dem Dad mal behauptet hatte, er könne nicht mal seinen Namen in den Schnee pissen, hatte die Fallen, die die Furcht vor dem Tod einem stellt, intuitiv erkannt und sie so mühelos umschifft wie Hundehaufen auf einer hell erleuchteten Straße. Dad hingegen hatte diese Fallen intellektuell erfasst, es aber geschafft, trotzdem in jede einzelne davon hineinzutappen. Ja, ich konnte es seinem Gesicht deutlich ablesen: Dad war am Boden zerstört! Terry hatte die Grundprinzipien von Dads Leben gelebt, was Dad nie gelungen war, obwohl es seine Grundprinzipien waren.
    »Und was passiert jetzt?«, fragte Dad.
    »Ihr werdet bei mir bleiben. Ihr alle.«
    Wir sahen uns an, wissend, dass das eine schlechte Idee war, wir aber keine andere Wahl hatten. Keiner rührte sich. Wir waren wie Höhlenmenschen, deren Höhle gerade eingestürzt war.
    Während mein Blick von meinem Vater zu seinem Bruder wanderte, dachte ich: Diese abartigen Figuren sind meine Familie. Dann dachte ich: Berufsverbrecher und Philosophen haben überraschend viel miteinander gemein - beide stehen im Konflikt mit der Gesellschaft, beide leben kompromisslos nach ihren eigenen Regeln, und beide geben echt lausige Eltern ab. Ein paar Minuten verstrichen, und obwohl sich niemand bewegte, hatte ich das Gefühl, die beiden Brüder seien bereits dabei, mich in zwei Hälften zu zerreißen.
     

VIII
    Das Leben war unbeschwert in Thailand, dem Land des Lächelns. Und das ist kein leeres Gerede: Die Thais lächeln unentwegt in einem Maße, dass ich anfangs geglaubt habe, in einem riesigen Land von Volltrotteln gelandet zu sein. Im Großen und Ganzen aber stand das Chaos von Bangkok im Einklang mit meiner seelischen Verfassung. Es gab nur eines, worauf ich, abgesehen von Leitungswasser und dem verdächtigen Lächeln, achten musste: Thais empfinden eine derart große Achtung vor Köpfen und so tiefe Geringschätzung gegenüber Füßen, dass jeder mir ständig einschärfte, ich solle auf keinen Fall mit meinen Tretern auf die Rübe irgendwelcher Leute zeigen. Als ob ich das vorgehabt hätte.
    Einem Reiseführer entnahm ich, dass auch

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