Vatermord und andere Familienvergnuegen
machen wollte, er musste feststellen, dass ihn der Anblick des Gematsches in einem menschlichen Körper abstieß. So verbrachte Eddie die meiste Zeit seines Medizinpraktikums damit, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen. Lunge, Herz, Blut und Gedärm waren nicht allein abstoßende Symbole der tierischen Natur des Menschen, sie waren auch derart empfindlich und anfällig für Krankheiten und Zerfall, dass Eddie kaum begreifen konnte, wie Menschen es auch nur eine Minute lang schafften zu überleben.
In seinem zweiten Semester an der Medizinischen Fakultät heiratete er eine attraktive Journalistikstudentin, die er für sich gewonnen hatte, indem er mit seiner Zukunft als Arzt und einem gemeinsamen Leben in Wohlstand geprahlt hatte. Was ein glückliches Ereignis hätte sein sollen, war für Eddie in Wirklichkeit eine Tortur. Er hegte ernsthafte Zweifel daran, dass er je den Arztberuf ergreifen würde, aber »nur so« hielt er sich nicht für liebenswert genug. Nun hatte er noch etwas, das ihm zusetzte und ihm Gewissensbisse bereitete: Er hatte seine Ehe auf einer Lüge gegründet.
Dann lernte er den Menschen kennen, der sein Leben verändern sollte. Es war 2 Uhr morgens, als Terry Dean, der ein Taschenmesser in so unglücklichem Winkel im Rücken stecken hatte, dass er es nicht selbst herausziehen konnte, in die Notaufnahme gestolpert kam. Grabesstille herrschte in dieser zweiten Nachtschicht, und während Eddie das Messer entfernte, brachte ihn Terrys offene und ehrliche Art dazu, dem Patienten seine Nöte anzuvertrauen - das Gefühl, zwischen Ekel und Pflicht, zwischen Schuldigkeit und Versagensängsten aufgerieben zu werden. Kurzum, Eddie jammerte, er wolle kein Scheißdoktor werden. Er gestand Terry, dass er diese Vorstellung entsetzlich finde und dass ihn dies alles höchstwahrscheinlich in den Selbstmord treiben würde, aber wie sollte er jetzt noch aus dieser Zwickmühle herauskommen? Womit sonst könnte er sein Geld verdienen? Terry hörte mitfühlend zu und bot ihm auf der Stelle einen hoch dotierten, wenngleich ungewöhnlichen Job an: um die Welt zu reisen und auf seinen Bruder aufzupassen, um ihm im Notfall zur Seite stehen zu können. Kurz gesagt, Martin Deans Freund und Beschützer zu werden.
Obschon es seinen Eltern das Herz brach und die Beziehung zu seiner jungen Braut auf eine unerhörte Belastungsprobe stellte, akzeptierte Eddie das Angebot und reiste nach Paris, um in Carolines Nähe darauf zu warten, dass Dad auftauchte. Die erstaunlichste Enthüllung aber war, dass Eddie Dad vom ersten Tag an, an dem er ihm in Paris begegnet war, nicht ausstehen konnte. All die langen Jahre hasste er meinen Vater, und zwar immer. Das war nicht zu fassen. Je länger ich über Eddies Täuschungsmanöver nachdachte, zwanzig Jahre lang Sympathie für jemanden zu heucheln, desto mehr war ich der Ansicht, dass es an Genialität grenzte. Doch dann machte ich mir klar, dass viele vermutlich ihr Leben lang vortäuschen, ihre Angehörigen, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen zu mögen, und in diesem Licht betrachtet, sind zwanzig Jahre keine große Sache.
In Bangkok hatte sehr dichter Verkehr geherrscht, aber nun, als wir aus der Stadt herausfuhren, ließ er nach. Wir fuhren über eine Landstraße, die zu beiden Seiten von Reisfeldern gesäumt wurde. Terry fuhr schnell. Wir kamen an winzigen Mopeds vorbei, auf denen ganze Familien saßen, und an Bussen, die, als seien sie fahrerlos, gefährlich hin- und herschwenkten. Eine Weile hingen wir hinter einem Traktor fest, dessen Fahrer sich lässig mit beiden Händen eine Zigarette drehte. Dann begann die Straße, sich in die Berge hochzuwinden. Wie um die Geschichte zu beenden, die mir durch den Kopf ging, brachte Terry uns auf den neuesten Stand drüber, was mit Eddie nach seiner Rückkehr geschehen war.
Eddies Jubel darüber, einen zwanzig Jahre dauernden Einsatz beendet zu haben, verflog schnell, da alles recht bald schiefzugehen begann. Nach einer zweihundertvierzig Monate währenden Trennung, bedingt durch Eddies Arbeit, brauchte es nur sechs Wochen Zweisamkeit, und seine Ehe war am Ende. Eddie verließ seine Frau und ihre gemeinsame Wohnung in Bangkok und zog in ein Haus in dem entlegenen Bergdorf, in dem er aufgewachsen war. Das war ein schrecklicher Fehler - die Geister seiner Eltern waren allgegenwärtig und machten ihm Vorwürfe, weil er ihnen das Herz gebrochen hatte. Und was tat dieser Dummkopf? Er wandte sich seinem alten Traum zu. Träume können so
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