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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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gefährlich sein. Wenn die Jahre vergehen und einen die Erfahrungen verändern, man aber vergisst, auch die Träume von einst zu revidieren, kann es sein, dass man sich in derselben wenig beneidenswerten Position wiederfindet wie Eddie: ein Siebenundvierzigjähriger, der den Traum eines Zwanzigjährigen träumt. In Eddies Fall war es sogar noch schlimmer. Er hatte vergessen, dass es nicht einmal sein eigener Traum gewesen war, es war ein Second-Hand-Traum. Und nun war er in sein grässlich abgelegenes Nest heimgekehrt, um eine Praxis zu eröffnen, und musste feststellen, dass der Nachfolger seines Vaters, der mittlerweile fünfundsechzig Jahre alt war, den Job bestens meisterte.
    Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang bei Eddie an. Er wohnte in einem baufälligen Haus, das auf einer kleinen Lichtung stand. Die Hügel ringsum waren von dichtem Dschungel bedeckt. Als Terry den Motor abstellte, konnte ich irgendwo einen Fluss rauschen hören. Wir waren wirklich mitten im Nirgendwo. Die Einsamkeit des Ortes vermittelte mir ein flaues Gefühl. Da ich in einer Hütte in der nordwestlichen Ecke eines Labyrinths gelebt hatte, waren mir Kargheit und Einsamkeit nicht fremd, doch dies hier war etwas anderes. Das Haus brachte mich zum Frösteln. Vielleicht hatte ich zu viele Bücher gelesen oder zu viele Filme gesehen, doch sobald man das eigene Leben auf seine dramatischen Aspekte hin abklopft, wie ich das tat, lädt sich alles sofort mit Bedeutung auf. Ein Haus ist nicht bloß ein Haus - es ist ein Schauplatz, an dem sich eine Episode des eigenen Lebens abspielt, und ich fand, dieses abgelegene Haus war die möglicherweise perfekte Kulisse für einen bedrohlichen Tiefpunkt und, wenn wir lange genug blieben, einen tragischen Höhepunkt.
    Terry drückte auf die Hupe, und Eddie kam heraus und fuchtelte wie ein wahrer Berserker mit den Armen.
    »Was soll das? Was wollt ihr hier?«
    »Hast du ihm nicht Bescheid gesagt, dass wir kommen?«, fragte ich Terry.
    »Wozu? Nun weiß er's ja. Eddie! Wir wollten mal sehen, wie du so zurechtkommst. Richtest du uns die freien Zimmer her? Du hast Gäste.«
    »Ich arbeite nicht mehr für dich, Terry. Du kannst mir nicht vorschreiben... du kannst nicht einfach herkommen und erwarten ... Du weißt, ich bin jetzt Arzt. Ich will hier oben keine krummen Touren.«
    »Meine Kundschafter haben mir berichtet, dass du noch keinen einzigen Patienten gehabt hast.«
    »Woher hast du... Sie sind hier ein bisschen misstrauisch Fremden gegenüber. Und ich war viele, viele Jahre lang weg. Es dauert, bis man sich einen Namen gemacht hat, das ist alles. Überhaupt, was geht dich das an? Ihr könnt hier nicht bleiben. Meine Lage hier ist schon schwierig genug. Das Letzte, was ich brauche, ist, dass du mir meinen Ruf versaust.«
    »Mein Gott, Eddie, wir werden nicht in der Unterwäsche durchs Dorf rennen, wir wollen nur ein wenig Ruhe und Frieden, ein bisschen die Landschaft genießen, und abgesehen davon, ist es denn so ungewöhnlich, dass ein Arzt einen Sterbenden und dessen Familie für ein paar Wochen aufnimmt?«
    »Wochen? Ihr wollt ein paar Wochen lang hierbleiben?«
    Terry lachte schallend und klopfte Eddie auf den Rücken.
    »Er auch?«, fragte Eddie leise und schaute zu Dad hinüber. Dad antwortete mit einem Blick, leblos und kalt. Dann schenkte Eddie mir ein schiefes Lächeln, das freundlich wirken sollte, aber keine wahre Freundlichkeit enthielt. Ich hatte erst kürzlich in Australien den Sippenhass erlebt und wusste daher, wonach es hier roch. Terry schnappte sich seine Reisetasche und marschierte ins Haus. Wir folgten ihm vorsichtig. An der Tür blieb ich stehen und drehte mich zu Eddie um. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Vollkommen reglos stand er neben dem Jeep und schaute drein, als könne er keinen von uns ertragen. Und wer hätte es ihm verdenken können? Jeder von uns war ein ganz angenehmer Mensch, aber zusammen waren wir unerträglich.
    Ich weiß nicht, woran es liegt, dass mein Körper Mücken aller Religionen und Hautfarben anzieht, ich weiß nur, dass ich meinen Körper regelmäßig in Insektenschutzmittel bade und Tausende von Citronella-Kerzen anzünde, doch nichts hält die Mücken ab. Ich entfernte das Moskitonetz über dem Bett und wickelte mich hinein wie in ein Leichentuch. Durch das transparente Netz hindurch studierte ich meine Umgebung. Die Inneneinrichtung als minimalistisch zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung gewesen: vier weiße Wände, ein knarrender Stuhl mit einem

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