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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Seine Kommentare über die gesunden, friedfertigen Bewohner dieses verschlafenen Dorfes wurden von Tag zu Tag boshafter. Er konnte ihre Zufriedenheit nicht ertragen. Er hielt sich nicht einmal an den putzigen thailändischen Brauch, in jeder erdenklichen Situation wie ein Kretin zu lächeln, obwohl er das hätte tun müssen, um Patienten anzulocken. Sein Lächeln zeigte sich jedoch nur auf einer Seite seines Gesichts. Ich sah aber auch die andere Seite, sein wahres Gesicht mit den zornigen herabgezogenen Mundwinkeln und der unterdrückten Mordlust in seinen Augen.
    Wir aßen am Straßenrand zu Mittag. Ich spürte kaum einen Windhauch, doch die Zweige der Bäume bewegten sich gelegentlich. Nach dem Essen fragte Eddie: »Hast du mit Terry darüber gesprochen, dass ihr hier abhauen sollt?«
    »Er will bleiben. Er meint, irgendetwas Schlimmes würde in deinem Haus passieren, und er will sehen, was das ist.«
    »So, das denkt er also, hm? Das klingt nicht gut.«
    Bevor Eddie noch etwas hinzufügen konnte, hörten wir das Röhren eines mit Vollgas nahenden Motorrads.
    »Guck mal, wer da ist«, sagte Eddie.
    »Wer ist das denn?«
    »Der Tattergreis von Arzt. Sieh dir an, wie selbstgefällig der aussieht.«
    Das Motorrad kam, eine Staubfahne hinter sich herziehend, auf uns zu. Es war kaum zu glauben, dass ein Tattergreis in diesem Affenzahn fuhr. Als der Arzt hart bremste, setzte sich Eddie in Positur. Es ist schwer, wie ein Gewinner auszusehen, wenn man eindeutig der Verlierer ist, aber die richtige Pose gehört dazu.
    Der Arzt mochte in den Sechzigern gewesen sein, hatte aber die Statur eines olympiatauglichen Schwimmers. Ich konnte nichts Selbstgefälliges an ihm entdecken. Er und Eddie wechselten ein paar Worte. Ich wusste nicht, was sie sagten, aber ich sah, dass Eddies Augen sich weiteten und sein Gesicht sich verdunkelte, und deshalb war ich froh, dass ich ihre Sprache nicht verstand. Als der Arzt wieder davongebraust war, fragte ich Eddie: »Was hat er gesagt? Geht er bald in Ruhestand?«
    »Schlechte Neuigkeiten. Verdammt schlechte Neuigkeiten! Der Arzt hat schon einen jungen Assistenten, der bereitsteht, seine Nachfolge anzutreten.«
    Tja, damit hatte sich die Sache erledigt. Es gab absolut keine Aufgabe für Eddie in dieser Gemeinde, und er wusste das.
     
    Ich wollte bloß noch schlafen, aber kaum war ich wieder in meinem Zimmer, saß Caroline auf meiner Bettkante.
    »Ich war heute im Dorf«, sagte sie.
    »Bitte kein neues Leichenfett.«
    Sie gab mir einen kleinen Lederbeutel, der mit einer Schnur verschlossen war. Ich öffnete ihn und nahm ein Halsband heraus, an dem drei seltsame Objekte hingen.
    »Ein Stück Elfenbein und irgendein Zahn«, riet ich.
    »Ein Tigerzahn.«
    »Klar. Und was ist das Dritte?«
    »Ein getrocknetes Katzenauge.«
    »Sehr hübsch. Und ich nehme an, ich soll Dad dazu bringen, das zu tragen.«
    »Nein, es ist für dich.« »Für mich?«
    »Es ist ein Amulett«, sagte sie, legte es mir um den Hals und sah mich an, als wäre ich ein Hündchen mit großen, traurigen Augen, das im Schaufenster eines Zoogeschäfts sitzt.
    »Wofür ist das?«
    »Es beschützt dich.«
    »Wovor?«
    »Wie fühlst du dich?«
    »Ich? Ganz gut, würd ich sagen. Bisschen müde.«
    »Schade, dass du meinen Sohn nicht kennenlernen konntest.«
    »Finde ich auch schade.«
    Arme Caroline. Es schien, als wollte sie mehrere Gespräche führen, aber fand für keines die richtigen Worte.
    Plötzlich stand sie auf. »Na gut«, sagte sie und ging durch die Hintertür hinaus. Beinahe hätte ich das Amulett abgenommen, doch dann übermannte mich die Furcht, ohne konnte ich auf keinen Fall auskommen. Ich dachte: Das, was einen Menschen in den Wahnsinn treibt, sind nicht Einsamkeit oder Leidensdruck - es ist der permanente Angstzustand, das ist es.
     
    Die nächsten Tage verbrachte ich vor dem Spiegel und vergewisserte mich meines Gesichts, indem ich es berührte. Nase? Hier! Kinn? Hier! Mund? Zähne? Stirn? Hier! Hier! Hier! Dieser alberne Anwesenheitsappell war die einzige nützliche Beschäftigung, die mir eingefallen war, um mir die Zeit zu vertreiben. Irgendwo im Haus umkreisten sich Caroline, Dad und Terry wie tollwütige Hunde. Ich hielt mich da lieber fern.
    Dafür hielt ich mich stundenlang bei Eddie im Büro auf. Für mich war er es, und nicht ich, der in einen Unfall in Zeitlupe verwickelt zu sein schien, und ich wollte nichts von dem Spektakel verpassen. Abgesehen davon hatte Carolines Geschenk Zweifel über meinen

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