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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Gesundheitszustand in mir gesät, und ich dachte, ich sollte mich besser mal von Eddie durchchecken lassen. Er untersuchte mich gründlich, hörte sich das schwerfällige Pochen meines Herzens an, testete meine trägen Reflexe; ich ließ ihn sogar Blut abnehmen. Nicht, dass es in der Nähe ein medizinisches Labor gegeben hätte, wo er die Probe zum Analysieren hätte hinschicken können. Er füllte einfach ein Arzneifläschchen damit und gab es mir später zum Andenken mit. Er sagte, mit mir sei alles in Ordnung.
    Wir saßen im Büro und hörten Radio durchs Stethoskop, als etwas Außergewöhnliches und Unerwartetes geschah - es kam eine Patientin herein! Eine sichtlich erregte und aufgelöste Frau. Eddie setzte eine ernste Miene auf, die meines Erachtens durchaus echt gewesen sein mochte. Ich saß gespannt auf der Stuhlkante, während die Frau losschnatterte. »Der Doktor ist sehr krank«, übersetzte Eddie für mich. »Er stirbt vielleicht«, fügte er hinzu und starrte mich lange an, nur um zu beweisen, dass er nicht grinste.
    Zu dritt kletterten wir in Eddies Auto und fuhren mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zum Haus des Arztes. Als wir ankamen, hörten wir das entsetzlichste Geschrei, das man sich vorstellen konnte.
    »Zu spät. Er ist tot«, sagte Eddie.
    »Woher weißt du das?«
    »Dieses Geheul.«
    Eddie hatte recht. Es war unüberhörbar. Er stellte den Motor ab, packte seine Arzttasche und strich sich das Haar glatt.
    »Was willst du denn jetzt machen?« »Ich werde ihn für tot erklären.«
    »Meinst du nicht, dieses schauerliche Heulen hätte das schon hinreichend besorgt?«
    »Selbst in einem so entlegenen Dorf wie diesem gelten bestimmte Regeln. Die Toten müssen offiziell für tot erklärt werden«, sagte er. Ich holte tief Luft und folgte Eddie und der Frau ins Haus.
    Etwa ein Dutzend Menschen hatten sich um das Bett des toten Doktors versammelt; entweder waren sie hier, um ihn zu betrauern, oder sie waren schon vorher gekommen, um ihn sterben zu sehen. Der Arzt, den ich erst vor ein paar Tagen auf seinem Motorrad übers Land hatte heitzen sehen, lag nun völlig bewegungslos da. Der Mann, dessen athletische Figur ich beneidet hatte, sah aus, als habe jemand mit einem kräftigen Staubsauger alles aus ihm herausgesaugt: Herz, Brustkorb, Wirbelsäule, alles. Ehrlich gesagt, er sah nicht mal nach Haut und Knochen aus, sondern nur nach Haut.
    Ich behielt Eddie im Auge, aber er zuckte nicht mal mit den Wimpern, was keine schlechte Leistung war, wenn man bedenkt, welche schäbigen Gedanken ihm durch den Kopf gingen. Der Dorfarzt war endlich weg - nun würde es zu einem Stechen zwischen Eddie und dem jungen Arzt kommen. Ich konnte sehen, wie Eddie dachte: Sollte nicht allzu schwer sein, den Kerl in Misskredit zu bringen. Eddie richtete sich auf, bereit, die Trauernden einzuseifen. Es würde seine erste Amtshandlung als Arzt sein.
    Die Leute sprachen in gedämpftem Tonfall mit Eddie; danach wandte er sich an mich, und ich sah Irrsinn, Rücksichtslosigkeit, Halsstarrigkeit und Verschlagenheit in seinen Augen flackern. Es ist erstaunlich, welchen Facettenreichtum man zur richtigen Tageszeit in einem Gesicht erkennen kann. Eddie zog mich zur Seite und erklärte mir, der Assistent sei da gewesen, als der Arzt starb, und habe ihn bereits für tot erklärt.
    »Er hat keine Zeit verschwendet, der kleine Dreckskerl«, zischte Eddie.
    »Wo ist der junge Arzt jetzt?«
    »Er ist nach Hause gegangen, um sich hinzulegen. Offenbar ist er auch krank.«
    Diesmal konnte Eddie seine Schadenfreude nicht verbergen. Er ließ sich den Weg zum Haus des jungen Doktors beschreiben und zog los, um ihn, da war ich mir sicher, so fahrlässig und schlampig wie nur möglich zu behandeln.
    Eddie fuhr schnell. Ich ertappte ihn dabei, wie er im Rückspiegel sein herzlichstes Lächeln einstudierte - er wollte also den Tyrannen spielen.
    Der junge Arzt lebte allein in einer Hütte hoch in den Bergen. Eddie stürmte hinein. Ich konnte nur mit Mühe mit ihm Schritt halten. Der junge Arzt lag voll bekleidet in seinem Bett. Als ich eintrat, stand Eddie bereits über ihn gebeugt da.
    »Alles in Ordnung mit ihm?«, fragte ich.
    Eddie stolzierte um das Bett herum, als führe er einen Siegestanz auf.
    »Ich glaube nicht, dass er es schafft.« »Was hat er denn?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Es ist ein Virus, aber ein ungewöhnliches. Ich weiß nicht, wie man es behandelt.«
    »Wenn der alte Arzt es hatte und nun der junge Arzt, muss es ansteckend

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