Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
sein. Ich mache mich lieber aus dem Staub«, sagte ich und hielt mir schützend die Hand vor den Mund.
    »Es ist wahrscheinlich nicht ansteckend.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Könnte doch sein, dass etwas in sie hineingekrochen ist und Eier in ihre Gedärme gelegt hat.« »Das ist ja ekelhaft.«
    »Oder es ist etwas, das sie beide gegessen haben. Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst.«
    »Ich entscheide selbst, wann und worüber ich mir Sorgen mache«, sagte ich und marschierte hinaus.
    Der junge Arzt starb zwei Tage später. Eddie war die ganze Zeit nicht von seinem Bett gewichen. Trotz Eddies Beteuerungen, das Virus sei nicht ansteckend, weigerte ich mich, noch mal einen Fuß in die Todeskammer zu setzen. Den genauen Todeszeitpunkt erfuhr ich dennoch, denn das gleiche grässliche, markerschütternde Geheul wie beim ersten Todesfall hallte durch das Dorf. Ehrlich gesagt, war mir dieses ganze theatralische Klagen suspekt, aber ich sagte mir schließlich, dass es bloß eine weitere kulturelle Marotte war, genau wie dieses Dauerlächeln. Es ist nicht wirklich unbändiger Schmerz, dachte ich, sondern die Darstellung unbändigen Schmerzes. Ein entscheidender Unterschied.
    Auf diese Weise wurde Eddie zum Dorfarzt. Er hatte bekommen, was er wollte, aber als ich dachte, dass ihn das milder stimmen würde, lag ich falsch. Und Eddie machte die schmerzliche Erfahrung, dass sich die Dorfbewohner keineswegs für ihn erwärmen konnten, nur weil er so kampflos zum Dorfarzt geworden war. Wir gingen Klinken putzen. Einige schlugen Eddie die Tür vor der Nase zu; sie glaubten, er habe die beiden Ärzte verhext, ihre beiden Häuser mit einem Fluch belegt. Eddie erweckte den Eindruck, ein Grabräuber zu sein. Wir machten trotzdem Kundenbesuche. Niemand biss an, was zum Großteil daran lag, dass die Leute nie krank zu werden schienen.
    Ich hatte das kaum für möglich gehalten, aber Eddie wurde noch unerträglicher. Diese geballte Gesundheit machte ihn rasend. »Nicht ein Patient! Ich will doch bloß, dass irgendeiner krank wird! Schwer krank! Was ist mit diesen Leuten los? Sind die unsterblich? Eine kleine Motoneuron-Krankheit könnte ihnen nicht schaden! Das würde ihnen zeigen, worum es im Leben wirklich geht.« Eddie meinte es schlecht mit ihnen. Sein Herz saß nicht am rechten Fleck.
    Gott sei Dank gab es Unfälle auf dem Feld. Nach ein paar versehentlichen Amputationen und dergleichen schaffte er es schließlich, ein paar Patienten um sich zu sammeln. Die Leute dort hatten Angst vor Krankenhäusern, daher wurde Eddie für Eingriffe auf die Reisfelder gerufen, die ich persönlich nur in absolut steriler Umgebung an mir vornehmen lassen würde. Aber den Leuten schien das nichts auszumachen.
    Während Eddie Jahrzehnte nach seinem Abschlussexamen offiziell seine Arztlaufbahn antrat, kehrte ich zum Haus zurück, um mich den Dramen zu stellen, die sich meiner festen Überzeugung nach während meiner Abwesenheit einem netten, dampfenden Siedepunkt genähert haben mussten.
     
    »Ich liebe den Bruder meines Ehemanns«, erklärte Caroline, als sei sie Gast in einer amerikanischen Talkshow und ich würde die Namen der beteiligten Personen nicht kennen. Sie rückte den Stuhl beiseite, mit dem ich erfolglos versucht hatte, meine Tür zu verbarrikadieren.
    »Ich weiß, dass es nicht leicht ist, Caroline. Aber kannst du nicht noch ein bisschen damit warten?«
    »Bis dein Vater tot ist? Ich fühle mich so schuldig. Ich zähle die Tage. Ich wünsche mir, dass er stirbt.«
    Das erklärte ihre fieberhaften Versuche, sein Leben zu verlängern: die Schuldgefühle. Ich glaubte zu wissen, dass sie Dad, sollte er schließlich sterben, weit mehr betrauern würde als wir anderen. Ja, der Tod meines Vaters würde diese Frau höchstwahrscheinlich zugrunde richten. Ich überlegte mir, ob ich nicht vielleicht mit ihm darüber reden sollte, ganz behutsam natürlich, und ihn inständig darum bitten, sie noch zu seinen Lebzeiten an Terry abzutreten. Weil sie ihn so herbeisehnte, könnte der Tod ihres Mannes ihr den Rest geben. Ich wusste, dass ich da an einen wunden Punkt bei ihm ansprechen würde, aber um Carolines willen, ihrer traurigen, verrückten Augen zuliebe, musste das Thema auf den Tisch.
    Dad lag im Bett und hatte das Licht ausgemacht. Die Dunkelheit half mir, den Mut für meine Aufgabe, um die mich keiner zu beneiden brauchte, aufzubringen. Ich kam direkt zur Sache. Ich tat so, als hätte Caroline nicht mit mir darüber

Weitere Kostenlose Bücher