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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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gesprochen, als sei ich ganz allein darauf gekommen. »Schau«, sagte ich, »ich weiß, dass dies schmerzlich sein muss, und ich kenn dich: Das Letzte, was du an der Schwelle zum Tod tun möchtest, wäre etwas Edles. Aber Tatsache ist, dein Tod wird Caroline zugrunde richten, weil sie ihn insgeheim herbeisehnt. Wenn du sie wirklich liebst, musst du sie deinem Bruder schenken. Du musst sie ihm noch zu deinen Lebzeiten vermachen.«
    Dad sagte kein Wort. Während ich diese schreckliche Ansprache hielt, überlegte ich mir, dass ich wahrscheinlich demjenigen, der so was zu mir sagen würde, ein Buttermesser durch die Zunge rammen würde.
    »Lass mich allein«, sagte er schließlich aus dem Dunkel.
    Am nächsten Tag fand Terry, dass Dad sich unbedingt den toten Vogel ansehen müsse, den er auf seinem Morgenspaziergang entdeckt hatte, und schleppte mich gleich mit. Er war der Meinung, Dad würde beim Anblick des steif daliegenden Tiers froh sein, noch auf den Beinen zu sein. Es war ein kindischer Einfall. Mein Vater hatte schon viele tote Tiere gesehen, und keiner der Kadaver hatte ihn sich über sein eigenes Leben freuen lassen. Für ihn kam das einer stummen Einladung gleich, sich den Toten anzuschließen. Mir war das klar. Ich fragte mich, wieso Terry das nicht wusste.
    »Ich finde, du solltest mir Caroline abnehmen«, sagte Dad, als er über dem leblosen Vogel kauerte.
    »Wovon redest du da?«
    »Ich glaube, sie kann diese Farce nicht länger ertragen, genauso wenig wie ich«, erklärte Dad müde. »Wir wären vielleicht damit durchgekommen, wenn du wie ein braver Junge tot geblieben wärst, aber du musstest dich ja wieder zum Leben erwecken.«
    »Ich weiß nicht, was ich damit zu tun haben soll.«
    »Stell dich nicht so dumm. Du nimmst sie, okay?«
    Terrys Körper durchfuhr ein unwillkürliches Zucken, als habe er die Hände auf einen Starkstromzaun gelegt.
    »Nur mal angenommen, ich stimme diesem Blödsinn zu. Wie kommst du darauf, dass sie dabei mitmachen würde?«
    »Lass den Quatsch, Terry. Du warst schon immer ein selbstsüchtiger Scheißkerl, also kannst du diese Tradition auch einfach fortführen und bedienst dich noch mal - ein Nachschlag von der Frau, die du liebst und die dich unverständlicherweise ebenfalls liebt. Weißt du, ich habe immer angenommen, mein Misserfolg bei den Frauen liegt an der nicht gegebenen Symmetrie meiner Gesichtszüge, und dann kommst du, der fetteste Mensch auf Erden, und kriegst sie schon wieder!«
    »Und was willst du nun?«
    »Kümmer dich einfach um sie, okay?«
    »Ich weiß nicht, wovon du überhaupt redest«, sagte Terry. Sein Mund formte noch Wörter, doch es kam kein Ton mehr heraus. Er sah aus, als versuche er, sich eine lange und komplizierte Gleichung einzuprägen.
     
    Caroline saß im Regen unter einem Baum, als Dad und ich zu ihr gingen. Ich wusste, dass sie sich das Hirn zermarterte, und glaubte, ihre Gedanken lesen zu können. Sie dachte an das Böse, daran, ob sie selbst böse oder vom Bösen besessen sei. Sie wollte gut sein. Sie glaubte nicht, dass sie gut war. Sie hielt sich für ein Opfer der Umstände und dachte, womöglich seien alle Menschen, die Böses tun, Opfer der Umstände. Sie dachte, dass Dad nicht bloß ein Krebsgeschwür habe, sondern ein Krebsgeschwür sei. Sie wünschte sich, er würde sich in jemand anderen verlieben und dann friedlich im Schlaf sterben. Sie hatte das Gefühl, Dad habe ihr ihre Biografie geraubt und schreibe sie nun mit krakeliger Handschrift neu, wodurch sie unleserlich wurde. Sie glaubte, ihr Leben sei unleserlich geworden und unverständlich.
    Ich war mir sicher, dass ich sie genau das denken hörte. Ich empfand so viel Mitgefühl mit ihr, dass ich mir wünschte, die Erde würde sich auftun und sie verschlucken.
    Dad marschierte auf sie zu und sprach es unverblümt aus. Ich hätte ahnen sollen, dass ihm sein erster Versuch, sich in Edelmut zu üben, unter den Händen explodieren würde. Die Wahrheit ist, dass es mit seinem großen Herz nicht weit her war und dass er, während er sich edelmütig auf dem Altar ihrer Liebe opferte, unfähig war, sich den gekränkten Ausdruck aus dem Gesicht zu wischen, was die ganze Übung zunichtemachte. Es war dieser gekränkte Gesichtsausdruck, der sie explodieren ließ.
    »Nein! Wie kannst du so etwas nur sagen! Ich liebe dichl Dich! Ich liebe DICH!«
    Dad ließ nicht locker. »Sieh mal, Terry war deine erste große Liebe, und ich weiß, du hast nie aufgehört, ihn zu lieben. Niemand kann etwas

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