Vatermord und andere Familienvergnuegen
seiner Runde. Er schien sich über meine Gesellschaft zu freuen und sonderte einen schaurigen Monolog ab, in dem er Ärzte mit Göttern verglich. Wir besuchten ein paar Bauern, bei denen er schließlich doch chronische Erkrankungen entdeckt hatte. Nach den Konsultationen machte er zu meinem Entsetzen direkt vor den Augen der Eltern die Töchter des Hauses an, Mädchen, die nicht älter als sechzehn gewesen sein konnten. Da ich die hiesige Kultur nicht gut genug kannte, wusste ich auch nicht, inwieweit Eddies Verhalten ihn in Gefahr brachte, aber es war haarsträubend, wie er versuchte, diese armen Mädchen zu verführen, einzuschüchtern und zu kaufen. Ich konnte kein einnehmendes Wesen mehr an ihm entdecken. Den Mann, mit dem ich aufgewachsen war, gab es nicht mehr. Als wir aufbrachen, belegte er diese Mädchen mit Bezeichnungen, von denen »fickobello« und »ficktauglich« noch die gebräuchlichsten waren. Jedes Wort, jede seiner Gesten schienen von Frustration und Geringschätzung durchtränkt zu sein. Wieder auf der Straße, dachte ich mir: Dieser Mann ist eine wandelnde Bombe, die darauf wartet zu explodieren, und ich hoffe, ich muss es nicht mit ansehen.
Dann detonierte er.
Und ich musste es mit ansehen.
Ich hatte die Stirn ans Wagenfenster gepresst und wünschte mir, der Dschungel um uns herum wäre die Innendeko eines luxuriösen Themenhotels und ich könnte jederzeit in mein Zimmer gehen, zwischen saubere Bettlaken kriechen, den Zimmerservice anrufen und eine Überdosis Schlaftabletten nehmen. Nichts hätte mir besser gefallen.
»Was ist denn da los?«, fragte Eddie plötzlich und riss mich aus meinem Tagtraum.
Es war ein Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren, das mit wedelnden Armen die Straße entlanggerannt kam und uns zum Anhalten aufforderte. Jetzt gibt's Ärger, dachte ich.
Eddie fuhr an den Straßenrand, und wir stiegen beide aus. Sie gestikulierte, Eddie solle ihr folgen. Soweit ich sie verstand, war ihr Vater krank. Sehr krank. Sie war in Panik. Sie wollte, dass Eddie sofort mitkam. Eddie nahm seine professionellste Pose ein. Er übersetzte mir, was sie ihm beschrieb: Fieber, Erbrechen, starke Magenkrämpfe, Delirium und Taubheitsgefühl in Armen und Beinen. Eddie grunzte und seufzte gleichzeitig. Dann schüttelte er halsstarrig den Kopf. Das Mädchen begann, in flehendem Tonfall auf ihn einzuschreien.
Was hatte er vor?
Sie wandte sich an mich und packte mich beim Arm. »Bitte, bitte.«
»Was ist hier los, Eddie?«
»Ich glaube wirklich nicht, dass ich es heute schaffe. Vielleicht morgen.«
»Nein, du verstehst?«, sagte sie auf Englisch. »Mein Vater. Er stirbt!«
»Eddie«, sagte ich, »was soll das?«
»Jasper, willst du dir nicht ein bisschen die Beine vertreten?«
Man musste kein Genie sein, um zu begreifen, dass ich zum Komplizen der denkbar widerlichsten Form von Erpressung werden sollte.
»Ich bleibe hier«, sagte ich.
Eddie starrte mich voller Hass an. Es war ein Showdown. »Jasper«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen, »ich sage dir, verpiss dich.«
»Niemals.«
Eddie explodierte und beschimpfte mich so laut, wie es seine Lungen zuließen. Er wollte mich um jeden Preis dazu bringen, abzuhauen, damit er vergewaltigen und plündern konnte. Aber ich würde mich nicht vertreiben lassen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dachte ich. Meine erste körperliche Konfrontation mit dem Bösen. Ich brannte darauf, es zu bezwingen.
Es gelang mir nicht.
Er schubste mich. Ich schubste zurück. Er schubste mich wieder. Das wurde langweilig. Ich versuchte einen Haken. Eddie duckte sich. Dann platzierte er einen Haken. Ich versuchte, mich ebenfalls zu ducken, erreichte aber nur, dass seine Faust statt auf meinem Kinn auf meiner Stirn landete. Ich taumelte etwas zurück, und diesen Vorteil nutzte er und verpasste mir einen überraschenden Tritt an die Kehle. Ich fiel rücklings hin und knallte mit dem Hinterkopf auf den Boden. Ich hörte die Autotür zuschlagen, und als ich mich endlich wieder aufgerappelt hatte, konnte ich nur noch dem Auto hinterhersehen.
Eddie, dieser widerliche Dreckskerl! Dieser schmierige, räudige, geile Wichser! Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich das arme Mädchen nicht hatte beschützen können, doch wenn jemand, den man seit seiner Kindheit kennt, so entschlossen ist, ein Verbrechen zu begehen, dass er einen gegen den Kehlkopf tritt - kann man da dann überhaupt was tun? Jetzt war es auf jeden Fall zu spät. Dieser Perverse war mit dem
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