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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Wettlauf zum Ei geschlagen hatte. Und jetzt schon wieder. Aber ehrlich gesagt, war es auch aufregend. Für mich als Kopfmensch fühlte sich das überraschend gut an. Ein mordgieriger Mob im Anmarsch - was wirst du dagegen unternehmen?
    Die Dämmerung tauchte den Himmel in ein weiches, kitschiges Rot: das Rot von Kopfwunden. Während ich rannte, wünschte ich mir, ich hätte eine Machete dabei - es war anstrengend, sich durch die dichte Vegetation zu kämpfen. Ich nahm Schleichwege durch struppiges Farnkraut, nur hier und da noch ein letzter Rest Sonnenlicht. Der Dschungel mit seinen üblichen unheimlichen Geräuschen hatte den Surround-Sound eines hochwertigen Home Entertainment Systems.
    Eine halbe Stunde später sah es aus, als würde ich den Mob aus den Augen verlieren. Verdammt. Was nun? Was sollte ich tun? Ich rannte, ich fiel hin, ich kotzte, ich stand wieder auf. Wieso sind wir bloß hergekommen? Beschissene Thais. Ein australischer Mob würde einem sämtliche Knochen brechen, aber wenigstens könnte man sich anschließend noch nach Hause schleppen. Das hier war Mord! Nein, Totschlag! Mein Dad! Und Caroline! Und Terry! Ganz allein, nichts ahnend und unvorbereitet. Ich rannte bis zur Erschöpfung. Und dann diese Hitze. Und die Moskitos. Und die Angst. Ich werde es nicht schaffen. Wie soll ich sie bloß warnen?
    Ich könnte vielleicht...
    Nein.
    Es sei denn...
    Ich hatte eine Idee. Doch das war idiotisch und konnte nicht klappen. Ich musste verrückt sein. Oder meine Fantasie spielte mir einen Streich. Aber was für eine Idee! Und das war sie: Dad und ich waren auf eine Art und Weise miteinander verbunden, die tiefer ging als die übliche Vater-Sohn-Beziehung, und ich hatte schon lange den Verdacht, dass wir gelegentlich unbeabsichtigt die Gedanken des anderen lasen; wenn ich mich also genügend konzentrierte, wenn ich mich ein wenig medial ins Zeug legte, könnte ich ihm vielleicht eine Botschaft schicken. Absurd! Genial?
    Das Problem war, dass man eine derartige Konzentration beim Rennen kaum aufbringen konnte. Ich musste also kurz anhalten, aber wenn es dann nicht funktionierte, würde ich nicht nur den Mob aus den Augen verlieren, sondern hätte mir auch den Rückweg verbaut. Und alle müssten sterben!
    Glaubte ich wirklich, wir könnten die Gedanken des anderen lesen? Sollte ich es riskieren? Der Weg durchs Unterholz wurde schwieriger; wenn ich einen Ast zur Seite schlug, peitschte er mir gleich darauf wieder ins Gesicht. Der Dschungel wurde aggressiv. Der Mob war schon weit entfernt. Ich ging fast ein vor Hitze. Meine Angehörigen würden sterben.
    Sollte ich es wagen?
    Scheiße noch mal.
    Ich blieb stehen. Der mörderische Pöbel verschwand hinter einem Hügel. Mein ganzer Leib pochte. Ich atmete tief durch.
    Um telepathisch mit Dad in Verbindung zu treten, musste ich mich in einen tiefen meditativen Zustand versetzen. Natürlich musste ich mich beeilen, aber innere Stille lässt sich nicht drängen. Man muss sie sanft hervorlocken. Man kann seine grundlegenden geistigen Eigenschaften nicht in einem Tempo umwandeln, als liefe man hinter einem Bus her.
    Ich nahm die klassische Position ein. Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden, konzentrierte mich auf meine Atmung und wiederholte mein Mantra, »Wow«. So erlangte ich einen inneren Frieden, der hinreichend war, doch um ehrlich zu sein, ich fühlte mich ein wenig dumpf im Kopf. Ich hatte etwas Klarheit gewonnen, genug, um bis an die Grenzen meines Bewusstseins zu stoßen, aber nicht darüber hinaus. Ich verspürte auch ein plötzliches Glücksgefühl - aber was brachte das? Ich musste weiter gehen, als ich je gegangen war, und hier saß ich und folgte der Routine. Nach allem, was ich über Meditation gelesen hatte, muss man sich an ein bestimmtes System halten - man muss auf bestimmte Weise dasitzen, atmen und sich auf das Atmen konzentrieren. Aber diesem System zu folgen, erschien mir wie eine Routine, die das Gegenteil von jenem wahren meditativen Zustand darstellte, den ich benötigte. Jetzt, da ich diese Art von Meditation schon ein paarmal gemacht hatte, immer auf dieselbe Weise, mit derselben Atemtechnik, derselben Art der Konzentration, hatte ich das Gefühl, ich könnte genauso gut in einer Coca-Cola-Fabrik am Fließband stehen und Verschlüsse auf die Flaschen schrauben. Mein Geist war friedlich, hypnotisiert, taub. Das war nicht gut.
    Der Versuch, meinen angespannten Geist zu beruhigen, konnte nur dann gelingen, wenn ich davor den

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