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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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so begriffsstutzig? Warum hatten die Bauern der Polizei erzählt, Eddie sei nach Kambodscha gezogen? Und wieso regte sie sich deswegen so auf?
    »Verstehst du nicht? Sie werden das Gesetz in die eigenen Hände nehmen!« »Das heißt?«
    »Sie werden ihn umbringen. Und nicht nur ihn. Dich auch.« »Mich?«
    »Und diese anderen Australier, die hergekommen sind, um ihm zu helfen.«
    »Warten Sie mal! Diese Australier sind meine Familie! Sie haben nichts Schlimmes getan! Die wissen von gar nichts! Ich weiß auch von nichts!«
    »Du gehst besser nicht nach Hause«, sagte sie.
    »Aber ich hab nichts getan! Es war Eddie! Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass Eddie uns einen Lynchmob auf den Hals hetzt. Mein Gott - mein Vater hatte recht. Die Menschen verfolgen so unbeirrbar ihren Traum, sich unsterblich zu machen, dass er ihnen das Genick bricht und jedem anderen in ihrer Nähe gleich mit!«
    Sie starrte mich verständnislos an.
    Was sollte ich tun? Ich konnte keine kostbare Zeit damit verschwenden, nach der Polizei zu suchen; ich musste schnellstens nach Hause und die anderen davor warnen, dass ein wütender Mob unterwegs war, um sie in Stücke zu reißen.
    Was war das bloß für ein elender Ausflug! »He, wieso helfen Sie mir überhaupt?« »Ich will diese Kette.«
    Warum nicht? Ich war eh nicht abergläubisch, nahm das widerwärtige Amulett ab und gab es ihr. Sie eilte davon. Ich hatte die Kette nur aus Verzweiflung getragen. Wenn man einen schwachen Moment hat, und irgendwer redet einem ein, er habe magische Fähigkeiten, findet man auch Trost in einem Sandkorn.
     
    Das Trüppchen unten machte sich zu Fuß auf den Weg durch den Dschungel. Ich folgte ihm und dachte an Eddie und an meine Familie und daran wie überrascht alle sein würden, wenn dieser blutrünstige Mob auftauchte, um sie umzubringen. Ich musste aufpassen, dass ich dem Mob nicht begegnete; da ich kein Thai war, war es eher unwahrscheinlich, dass sie mich als einen von ihnen ansehen würden. Stattdessen würden sie mich mit einem Bissen verschlingen, als Appetithappen. Deswegen blieb ich auf Distanz. Das Problem bestand darin, dass ich den Heimweg nicht kannte und daher dem Mob zu Eddies Haus folgen musste. Doch wie sollte ich ihm so zuvorkommen und alle warnen?
    Wieder mal eine Frage von Leben und Tod. Besten Dank.
    Unterwegs schlossen sich mehr und mehr Menschen dem Trupp an, der langsam zu einer Art Dampfwalze der Vergeltung, einem an Größe und Geschwindigkeit zunehmenden menschlichen Tsunami anschwoll. Es war ein Anblick, der einen vor Angst lähmte. Die Leute schienen sich auf unheimliche Weise auf ein stilles Massaker einzustimmen. Das war kein wilder Haufen, der mit Kriegsgebrüll auf sich aufmerksam machte, es war eine stumme Masse, die schweigend vorwärtsdrängte. Während ich hinterherlief, dachte ich daran, wie sehr ich jede Form von Menschenansammlungen hasste - ich hasste Zusammenrottungen von Sportfans, von demonstrierenden Umweltschützern, ich hasste sogar Supermodeis, wenn sie in Gruppen auftraten. Ich sage Ihnen, der Mensch ist nur einzeln zu ertragen.
    Interessanterweise war es ein demokratischer Mob. Jeder durfte sich anschließen, um Eddie und meine Familie zu massakrieren. Sogar ein paar Kinder waren dabei und einige ältere Herren, die, obgleich schwach und gebrechlich, keine Mühe hatten, den Anschluss nicht zu verlieren. Es war, als wären sie von der Menge absorbiert worden und würden von deren Energie mitgetragen, als wären ihre mageren, schwächlichen Körper nun die flinken Finger einer mächtigen Hand. Aber waren diese Menschen nicht eigentlich Buddhisten? Ja, und wenn schon! Buddhisten können genauso gut durchdrehen wie alle anderen, oder nicht? Immerhin war Eddie mit Gift, Mord, Erpressung und Vergewaltigung in ihre innere Gelassenheit geplatzt. Innere Gelassenheit ist nicht immun gegenüber einem derart fürchterlichen Übergriff. Übrigens lächelte auch keiner von ihnen wie Buddha. Sie lächelten wie die teuflische Schlange, wie ein Drache mit vierzig Köpfen.
    Selbst die Sonne zeigte sich feindselig: Sie ging rasch unter. Na klar, dachte ich, dies würde kein blutiges Gemetzel bei Tageslicht werden. Es musste im Dunkeln stattfinden.
    Aber was war das? Die Meute ging nun schneller! Ich war bereits fix und fertig und musste nun auch noch ein halsbrecherisches Tempo anschlagen. Wie ätzend! Der letzte Marathon, an dem ich teilgenommen hatte, war jener gewesen, bei dem ich zweihundert Millionen anderer Spermien beim

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