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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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eine bewölkte, finstere Nacht, so dunkel, dass ich auch unter der Erde hätte sein können. Überall um mich herum drang furchterregendes Stöhnen und Ächzen aus dem Dschungel. Wie lange war ich schon hier? Ich wusste es nicht.
    Äste beiseiteschiebend, ging ich weiter, die Augen noch voller Traumbilder, in der Nase Geruchshalluzinationen (Zimt und Ahornsirup), auf der Zunge Geschmackshalluzinationen (Zahnpasta und Hefebrotaufstrich). Ich verspürte eine noch nie da gewesene Präsenz.
    Unterwegs fragte ich mich, ob sie das Haus wohl leer vorfinden würden. Hatte Dad meine Warnung empfangen? Oder hatte ich es einfach aufgegeben, das Leben meiner Familie retten zu wollen? Ich ging ziellos weiter, ließ mich von meinen Instinkten durch den Dschungel leiten, trampelte auf prächtige Pflanzen, die einen süßen, schweren Geruch verströmten. Ich hielt inne, um das kalte, köstliche Wasser eines kleinen Wasserfalls zu trinken. Stolperte dann über Hügel und durch die dichte Vegetation.
    Ich empfand keine Furcht. Ich fühlte mich so sehr als Teil des Dschungels, dass ich es für eine Unverschämtheit gehalten hätte, wenn Raubtiere mich hätten fressen wollen. Dann kam ich auf eine Lichtung, die sich einen flachen Hügel hinaberstreckte, und konnte den Mond aufgehen sehen. All die Augen der Blumen, die Münder der Bäume und die Unterkiefer seltsamer Felsformationen schienen mir zu bedeuten, dass ich auf dem richtigen Weg war. Das war eine Erleichterung, denn es gab keinerlei Spuren. Irgendwie hatte es die stumme Menge rachedurstiger Menschen geschafft, alles unberührt zu lassen, als sei sie durch den Urwald geschwebt wie eine uralte, amorphe Masse.
    Als ich schließlich zu Eddies Haus fand, war es hell erleuchtet. Der Wind rüttelte heftig an den Türen und Fenstern. Beim Anblick des Hauses fand mein Zustand des Einsseins ein abruptes Ende. Die Welt war wieder hoffnungslos fragmentiert; die absolute Verbindung zwischen mir und allem Lebendigen war unterbrochen. Ich hatte kein Interesse mehr an lebendigen Dingen, sie hätten mir nicht gleichgültiger sein können. Es gab mich, und es gab sie. Das war für jeden Idioten offensichtlich.
    Versteckt hinter einem Baum, spürte ich das Blut durch mein Herz rasen. Mir fiel ein, dass Dad mal versprochen hatte, mir beizubringen, wie man sich selbst ungenießbar macht, wenn die Meute auftaucht, um einen aufzufressen. Ich hoffte, dass er diese lebenswichtige Kunst tatsächlich beherrschte.
    Natürlich war ich zu spät gekommen. Die Tür stand sperrangelweit offen, und die Meute kam bereits wieder heraus, einer nach dem anderen, bewaffnet mit Sensen, Hämmern und Mistgabeln. Es würde keinen Sinn haben, sich dem Mob zu stellen, denn wahrscheinlich hatte er bereits getan, wozu er hergekommen war. Es wäre keinem damit gedient, würde ich mich auch noch in Stücke hacken lassen.
    Die Hände und Gesichter der Leute waren blutverschmiert, die Kleider so besudelt, dass sie sie würden wegwerfen müssen. Ich wartete, bis der letzte Eindringling fort war, beobachtete das Haus und versuchte, keine Angst zu empfinden. Selbst nach all dem, was Dad mir beigebracht hatte - auf einen solchen Moment war ich nicht vorbereitet. Nichts hatte mich darauf vorbereitet, einen Ort zu betreten, an dem meine Familie niedergemetzelt worden war. Ich versuchte, mich an irgendeine goldene Weisheit aus meiner frühen Kindheit zu erinnern, die mir verraten würde, wie hier zu verfahren sei, aber mir fiel nichts ein, und so ging ich ins Haus, emotional, mental und spirituell ungewappnet. Natürlich hatte ich sie mir schon viele Male vorgestellt, wie es sein würde, wenn sie tot wären (sobald ich mich jemandem emotional verbunden fühle, stelle ich mir seinen Tod vor, damit ich später nicht enttäuscht sein kann), aber in diesen Fantasien kamen immer relativ ordentliche Leichen vor, recht adrette sogar, und bislang war mir nie der Gedanke gekommen, mich darauf einzustellen, die Gehirne meiner Lieben an der Wand verteilt zu sehen, ihre Körper darniedergestreckt in Lachen aus Blut/Scheiße/Gekröse et cetera.
    Die erste Leiche, die ich entdeckte, war die von Eddie. Er sah aus, als wäre er mehrere Tausend Male von einem Weltklasse-Eisschnellläufer über den Haufen gerannt worden. Sein Gesicht war derart zerschnitten, dass ich ihn kaum erkennen konnte, abgesehen von den Augen, die diesen starren überraschten Ausdruck hatten, wie er charakteristisch ist für Botox und unerwarteten Tod. Sie starrten hoch zu den

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