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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Konflikt, der in meinem Kopf entstanden war, auflösen konnte. Das verbrauchte aber wichtige Energie, die ich benötigte, um telepathischen Kontakt zu Dad herzustellen. Also sollte ich vielleicht aufhören, mich zu konzentrieren - aber wie sollte ich inneren Frieden finden, ohne mich zu konzentrieren?
    Statt im Schneidersitz dazuhocken, stand ich auf und lehnte mich wie James Dean in Denn sie wissen nicht, was sie tun an einen Baum. Dann hörte ich nicht mehr, wie Anouk es mich gelehrt hatte, auf meinen Atem, sondern auf die Geräusche um mich herum. Ich schloss auch nicht die Augen, ich machte sie weit auf.
    Ich betrachtete die feuchten Urwaldbäume im Licht der Spätnachmittagsonne, ohne mich zu konzentrieren. Ich brachte meinen Geist erstaunlicherweise auf Trab. Ich achtete auch nicht nur auf meine Atmung, sondern behielt meine Gedanken im Auge. Sie fielen wie ein Funkenregen. Ich sah ihnen sehr lange zu. Ich verfolgte sie, nicht wohin sie gingen, sondern woher sie kamen, zurück in die Vergangenheit. Ich erkannte, wie sie mich zusammenhielten. Ich konnte sehen, wie sie mich zusammensetzten, diese Gedanken - die wahren Zutaten der Jasper-Brühe.
    Ich ging los, und meine innere Stille ging mit mir, auch wenn es sich nicht um eine innere Stille im Sinne des Fehlens jeglicher Geräusche handelte. Es war eine gewaltige, ohrenbetäubende, sichtbare Stille. Niemand hatte mir je etwas über diese Art von Stille gesagt. Sie war wirklich laut. Und während ich durch den Dschungel ging, konnte ich diese Klarheit mühelos bewahren.
    Dann wurde mein Innerstes still. Sehr, sehr still. Ganz plötzlich. Und dann war ich befreit von innerem Zwiespalt. Frei von Furcht. Diese Freiheit ließ all meine haltlosen inneren Hemmnisse dahinschmelzen. Ich dachte: Die Welt schwillt an, sie ist hier, sie brandet in meinen Mund, rinnt meine Kehle herab, sie tritt mir in die Augen. Seltsamerweise war dieses große Ding in mich hineingetreten, aber ich war nicht größer geworden. Ich war kleiner. Es war ein schönes Gefühl, klein zu sein. Ja, ja, ich weiß natürlich, wie sich das anhört, aber es war keine mystische Erfahrung. Und ich rede mir auch nichts ein. Ich bin kein Heiliger. Nicht für alle Brüste Kaliforniens würde ich wie Franz von Assisi die Wunden der Aussätzigen mit meiner Zunge reinigen, garantiert nicht, aber - und darauf will ich hinaus - ich spürte etwas, das ich noch nie zuvor in meinem Leben verspürt hatte: Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich liebte tatsächlich meine Feinde. Eddie, meine Familie, den mordlüsternen Mob, selbst das australische Volk, ungeachtet der kürzlich erfolgten Hass-Eruption. Nun, wir wollen nicht übertreiben, ich liebte meine Feinde nicht gerade abgöttisch, und obwohl ich sie liebte, war ich doch nicht in sie verliebt. Aber trotzdem, mein instinktiver Abscheu vor ihnen war irgendwie verflogen. Dieser Gefühlsexzess ängstigte mich ein wenig - dieser Taumel an Liebe, der meinen Hass durchschnitt wie Butter. Es schien somit, als habe Anouk sich geirrt; der wahre Lohn der Meditation ist nicht innerer Frieden, sondern Liebe. Ja, wenn man die Welt zum ersten Mal als Ganzes sieht und aufrichtige Liebe für dieses Ganze empfindet, dann erscheint einem innerer Frieden doch als ein bescheidenes, armseliges Ziel.
    So schön dies auch alles war, so begriff ich doch, dass ich nicht mit meinem Vater kommunizierte. Ich hatte schon fast aufgegeben und begann mich zu fragen, wo der wütende Lynchmob geblieben war, da tauchte plötzlich, ohne dass ich es überhaupt versucht hatte, Dads Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Dann sah ich seinen gekrümmten Körper. Er saß über den Schreibtisch gebeugt in seinem Zimmer. Ich schaute genauer hin. Er schrieb einen Brief an eine Zeitung aus Sydney. Ich konnte nur die Anrede am Anfang des Briefes erkennen. »Liebe Schweinehunde« war durchgestrichen und durch »Meine lieben Schweinehunde« ersetzt worden. Ich war überzeugt davon, dass dies keine Einbildung war, sondern ein tatsächliches Bild von Dad in genau diesem Moment. Ich dachte: Dad! Dad! Ich bin's! Ein wütender Mob ist unterwegs, um Eddie und alle anderen im Haus umzubringen! Flieh! Bring alle in Sicherheit! Ich versuchte, ihm ein Bild des wütenden Mobs zu senden, von diesem massiven Kollektivkörper, der sich, mit landwirtschaftlichem Gerät der Alten Welt bewaffnet, dem Haus näherte. Mein Gott, sie hatten sogar Sensen!
    Ohne dass ich es wollte, verblasste das Bild. Ich öffnete die Augen. Es war

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