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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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nach Australien forderte Traurigkeit ein, und diesem Befehl war unbedingt Folge zu leisten. Aber nicht allein das. Indem er als menschliche Fracht in einer gefährlichen Schmuggelaktion klammheimlich nach Australien zurückkehren wollte, hatte Dad ein letztes Schwachsinnsprojekt in Angriff genommen, das seinen Tod sicherlich beschleunigen würde.
     

II
    Die Schlepperbande hatte sich als Sitz ihres ruchlosen Unternehmens ein gewöhnliches Restaurant in einer verstopften Straße ausgesucht, die aussah wie siebzig andere verstopfte Straßen, die ich schon gesehen hatte. Vor dem Eingang warnte Terry Dad und mich: »Bei diesen Burschen müssen wir vorsichtig sein. Die sind echt brutal. Die schneiden dir erst den Kopf ab und stellen dann die Fragen; meistens, wohin sie deinen Kopf schicken sollen.« Das im Hinterkopf, setzten wir uns an einen Tisch und bestellten Dschungel-Curry und Fleischsalat. Ich hatte immer geglaubt, das die Orte, an denen sich die Kriminellen versammelten, nur nach außen hin normal wirkten, doch in diesem Fake-Restaurant servierten sie einem tatsächlich etwas zu essen, und es war nicht einmal schlecht.
    Wir aßen schweigend. Dad hustete zwischen den Bissen und rief wiederholt nach dem Kellner, um Mineralwasser zu ordern. Terry schaufelte sich Garnelen rein und atmete dabei durch die Nase. Von einem Porträt an der gegenüberliegenden Wand starrte mich missbilligend der König an. Ein paar englische Rucksacktouristen diskutierten am Nebentisch über die physischen und psychischen Unterschiede zwischen Thai-Prostituierten und einem Mädchen namens Rita aus East Sussex.
    »Also, Terry«, fragte ich, »was passiert jetzt? Bleiben wir einfach bis Ladenschluss hier sitzen?« »Überlasst das mir.«
    Wir überließen es ihm. Die ganze Kommunikation verlief wortlos nach ganz bestimmten Regeln: Terry nickte einem Kellner verschwörerisch zu, der das Nicken durch ein offenes Fenster in die Küche an den Koch weitergab. Der Koch leitete es an einen Mann weiter, den wir nicht sehen konnten, der es, wie wir mutmaßten, an zwanzig andere Männer weitergab, die eine Wendeltreppe zum Vorhof der Hölle säumten. Nach ein paar bangen Minuten erschien ein kahlköpfiger Mann mit einem leicht deformierten Schädel und setzte sich zu uns; er biss auf seiner Lippe herum und starrte uns finster an. Terry zog einen prall mit Geldscheinen gefüllten Umschlag hervor und schob ihn über den Tisch. Das besänftigte den Schmuggler fürs Erste. Er schnappte sich den Umschlag und stand auf. Wir folgten ihm mit hallenden Schritten einen Flur entlang, der schließlich in ein fensterloses kleines Zimmer führte, wo uns zwei bewaffnete Männer mit kaltem, stechendem Blick empfingen. Einer von ihnen tastete uns nach Waffen ab, und als er keine fand, betrat ein schwammiger Mann mittleren Alters in einem teuren Anzug den Raum und starrte uns wortlos an. Sein eindrucksvolles Schweigen gab mir das Gefühl, mich in einer Geschichte von Joseph Conrad zu befinden und mitten ins Herz der Finsternis zu blicken. Natürlich war er einfach nur ein Geschäftsmann mit der gleichen Liebe zum Profit und dem gleichen Desinteresse gegenüber menschlichem Leid wie seine westlichen Unternehmerkollegen. Ich konnte mir diesen Mann gut bei IBM im mittleren Management oder als Rechtsberater der Tabakindustrie vorstellen.
    Ohne Vorwarnung ließ einer der Bodyguards einen Gewehrkolben auf Terrys Kopf niederkrachen. Terrys schwerer Körper schlug auf dem Boden auf. Er war ohnmächtig, aber er lebte; sein Brustkorb hob und senkte sich unter langen, tiefen Atemzügen. Als sie ihre Waffen auf mich richteten, dachte ich: Genauso hab ich mir immer den Raum vorgestellt, in dem ich sterben würde: eng, stickig und voll mit gleichgültig dreinblickenden Fremden.
    »Ihr Polizei«, sagte der Boss auf Englisch.
    »Nein. Keine Polizei«, protestierte Dad. »Wir sind gesuchte Kriminelle. Wie Sie. Naja, nicht wie Sie. Wir wissen nicht, ob Sie gesucht werden oder nicht. Vielleicht will ja gar keiner was von Ihnen.«
    »Ihr Polizei.«
    »Nein. Herrgott noch mal. Hören Sie: Ich habe Krebs, Krebs, verstehen Sie? Das große K. Tod.« Anschließend erzählte Dad ihnen die gesamte absurde Geschichte, wie er in Ungnade gefallen und aus Australien geflohen war.
    Ich glaubte, es sei allgemein anerkannt, dass derart groteske Geschichten wahr sein mussten, aber die Schmuggler waren skeptisch. Während sie über unser Schicksal beratschlagten, erinnerte ich mich daran, dass Orwell die

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