Vatermord und andere Familienvergnuegen
Sammelsurium.
4. An Kate Milton, die Betreiberin des Paramount, unseres heiß geliebten Kinos. Wenn ein Film erst mal acht Monate gelaufen ist, liebe Kate, dürfen Sie davon ausgehen, dass wir ihn alle gesehen haben. Bestellen Sie um Himmels willen gelegentlich neue Filme. Einmal im Monat wäre nett.
Ich las meine Anregungen noch einmal durch und fand, dass ich noch eine brauchte. Eine gewichtige. Es lässt sich unmöglich in Worte fassen, was für mich an den Menschen in unserer Stadt nicht stimmte, etwas, das viel tiefer saß als schlechte Haarschnitte und seltsam bestückte Supermärkte - die wahren Probleme, die existenziellen Probleme. Mir fiel kein Vorschlag ein, der diese direkt ansprach. Es war schlicht unmöglich, auf den Urgrund unseres Seins zu deuten und allen den Riss darin zu zeigen und dann zu hoffen, wir könnten uns damit auseinandersetzen, ohne dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt. Darum versuchte ich, mir etwas zu überlegen, das sich indirekt darauf bezog. Ich vermutete, ihre Probleme hatten mit falsch gewichteten Prioritäten zu tun, und wenn dem so war, musste die eigentliche Ursache mit der Perspektive zusammenhängen, damit, welche Teile der Wirklichkeit sie wahrnahmen und was sie außer Acht ließen.
Dementsprechend war meine Überlegung, ihre Perspektive zurechtzurücken, soweit ich es konnte. Dies brachte mich auf Vorschlag Nummer fünf.
5. Baut auf dem Farmers Hill ein kleines Observatorium.
Ich lieferte keine weitere Erklärung, aber ich streute noch zwei Zitate von Oscar Wilde respektive Spinoza ein: »Wir liegen alle in der Gosse, aber manche von uns betrachten die Sterne« und »Betrachtet die Welt von der Warte der Ewigkeit aus«.
Ich las die Vorschläge ein zweites Mal durch und schob sie dann hochzufrieden in den erwartungsvollen Schlitz meiner neu konstruierten Bereicherung unseres Kleinstadtlebens.
Die Vorschlagsbox wurde zum Gesprächsthema Nummer eins in der Stadt. Patrick Ackerman berief eine spontane Versammlung ein, bei der er meine Anregungen mit so ernster Stimme vortrug, als kämen sie von ganz oben, nicht von unten, dort, wo ich saß. Niemand wusste, wer den Kasten angebracht hatte. Man stellte Vermutungen an, war jedoch uneins. Die Einwohner strichen Listen ihrer Freunde und Nachbarn zusammen, bis noch etwa acht Kandidaten übrig blieben, aber keiner war der Favorit. Meine Wenigkeit hatten sie garantiert nicht in Verdacht. Zwar war ich schon vor Jahren aus dem Koma erwacht, aber für sie schlief ich immer noch.
Erstaunlicherweise war Patrick Ackerman von der ganzen Sache richtig begeistert. Er war der Typ von Anführer, der sich unbedingt als frisch und innovativ darstellen wollte, aber weder die nötige Motivation noch die dazu erforderlichen Ideen mitbrachte, und nun benutzte er die Vorschlagsbox sozusagen als Ersatzgehirn. Vehement brüllte er jedes höhnische Wort, jede Spöttelei und jedes Widerwort nieder, und in seinem Schock über diesen unerwarteten Ausbruch von Enthusiasmus stimmte der Stadtrat allen meinen Vorschlägen zu. Das war irre! Das hatte ich echt nicht erwartet. So wurde zum Beispiel beschlossen, dass Paul Hamilton, der arbeitslose, einbeinige, siebzehnjährige Sohn von Monica und Richard Hamilton sofort als Friseurlehrling bei Jack Hill anfangen sollte. Es wurde festgelegt, dass Tom Russell ein Jahr Zeit bekäme, die Wörter »und Söhne« von seinen Schildern zu entfernen, es sei denn, er würde heiraten und ein Kind zeugen oder adoptieren, mit der Einschränkung, der Adoptivsohn müsse weiß sein und aus England oder Nordeuropa stammen. Kate Milton, die Geschäftsführerin des Kinos, wurde angehalten, alle zwei Monate zumindest einen neuen Film beizubringen. Es war unglaublich! Aber der Hammer kam erst noch. Es wurde beschlossen, dass umgehend Pläne für die Errichtung eines Observatoriums auf dem Farmer's Hill ausgearbeitet werden sollten. Das dafür veranschlagte Budget betrug zwar nur lumpige eintausend Dollars, aber die Verve stimmte. Ich fasste es nicht. Sie machten es tatsächlich.
Patrick legte fest, dass der Kasten nur einmal im Monat geöffnet werden sollte, und zwar von ihm. Er wollte die Vorschläge vorsichtshalber durchgehen, damit er nicht versehentlich solche mit gottlosem oder beleidigendem Inhalt verlas. Bei einer öffentlichen Sitzung würde er sie dann der Stadt mitteilen, und anschließend sollte diskutiert und abgestimmt werden, welche man aufgreifen und welche man ignorieren sollte.
Oh,
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