Vatermord und andere Familienvergnuegen
jeder Seite ein paar Zentimeter an, sodass der Mund nun lächelte. Zuerst hatte ich vor, ihn an einem Pfosten zu befestigen und irgendwo in der Stadt in den Boden zu rammen, aber wenn man etwas öffentlich zugänglich macht, muss man immer mit Vandalen rechnen; die gibt's überall auf der Welt und woanders auch.
Man bedenke, wie unser Städtchen angelegt ist: eine breite, von Bäumen gesäumte Hauptstraße, in deren Mitte vier kleinere Straßen abgehen. An dieser Kreuzung liegt das Epizentrum, das Rathaus. Jeder, der in der Stadt zu tun hat, muss daran vorbei. Ja, es musste das Rathaus sein, um der Vorschlagsbox einen offiziellen Anstrich zu verleihen. Aber um sie dauerhaft anzubringen und damit sie nicht von jemand x-Beliebigem entfernt werden konnte, musste sie Teil des Baukörpers, des Rathauses selbst, werden. Sie musste angeschweißt werden, das war klar, aber versuch mal, Holz an Beton zu schweißen! Oder an Mauerwerk!
In unserem Hof fand sich noch Wellblech, das es nicht aufs Schuppendach meines Vaters geschafft hatte. Ich schnitt es mit seiner Flex in vier Teile, dann verkleidete ich mithilfe seines Schweißbrenners Oberseite, Rückwand und Seiten damit. Ich hängte ein Vorhängeschloss daran und schweißte den Kasten um 3 Uhr früh, als die ganze Stadt schlief und im Dunkel lag, an das Geländer der Eingangstreppe zum Rathaus. Den Schlüssel des Vorhängeschlosses steckte ich in einen Briefumschlag, den ich unserem farblosen Stadtrat Patrick Ackerman vor die Haustür legte. Außen auf dem Umschlag stand sein Name, und der Umschlag enthielt die folgenden Zeilen:
»Ich lege den Schlüssel, mit dem Sie das brachliegende Potenzial unserer Gemeinde erschließen können, in Ihre Hände. Sie sind der Schlüsselmeister. Missbrauchen Sie dieses Privileg nicht. Seien Sie nicht tranig, faul oder gleichgültig. Ihre Stadt zählt auf Sie.«
Ich hielt das für eine elegante kleine Botschaft. Als die Morgendämmerung über die Hügel kroch und über das Gefängnis einen unheilvollen, orangeroten Schimmer breitete, saß ich auf der Eingangstreppe und verfasste die ersten Vorschläge. Sie mussten wahre Schönheiten sein, sie mussten inspirieren, sie mussten begeistern, und sie mussten im Rahmen des Machbaren bleiben. Darum ließ ich einige meiner ausgefalleneren und unpraktikablen Vorschläge weg, zum Beispiel, dass wir die ganze Stadt aus diesem trostlosen Tal und näher an irgendein Gewässer verlegen sollten - keine schlechte Idee, aber außerhalb der Zuständigkeit unseres dreiköpfigen Stadtrats, von dem ein Mitglied seit dem letzten Starkregen nicht mehr gesehen worden war. Nein, die ersten Vorschläge mussten den richtigen Ton treffen und die Bevölkerung ermutigen, es mir nachzutun. Sie lauteten:
1. Den Spieß umdrehen und den miesen Ruf als »unattraktivster Wohnort in ganz New South Wales« zu unserem Vorteil nutzen. Wir sollten uns damit brüsten. Schilder aufstellen. Es eher noch übertreiben, um daraus eine einzigartige Touristenattraktion zu machen.
2. An Jack Hill, unseren Friseur. Es ist zwar bewundernswert, dass Sie ungeachtet Ihrer Arthritis weiterhin unsere Haare schneiden, doch genau deswegen laufen in dieser Stadt mehr Menschen mit schlechten, schiefen und geradezu unerklärlichen Haarschnitten herum als irgendwo sonst auf der Welt. Sie machen uns zu Monstrositäten. Bitte schicken Sie Ihre tanzenden Scheren in den Ruhestand und stellen Sie einen Lehrling ein.
3. An Tom Russell, den Inhaber unserer Gemischtwarenhandlung Russell und Söhne. Erstens haben Sie schon mal keinen Sohn, Tom. Nicht nur das, Sie haben auch keine Frau, und da Sie langsam in die Jahre kommen, sieht es so aus, als würden Sie auch keinen Sohn mehr bekommen. Gut, Sie haben einen Vater, und vielleicht sind Sie selbst der betreffende Sohn, aber soweit ich weiß, ist Ihr Vater schon vor langer Zeit gestorben, Jahrzehnte, bevor Sie in diese Stadt kamen, daher ist der Name irreführend. Zweitens, Tom, wer ist zuständig für Ihren Warenbestand? Ich war erst gestern im Laden, und es gibt dort lauter Zeug, für das kein Mensch irgendeine Verwendung haben könnte. Leere Fässer, überdimensionale Zinnkrüge, peitschen-förmige Fliegenklatschen, und, bei Gott, Ihre Souvenirs sind wirklich seltsam: Normalerweise kauft man sich einen kleinen Eiffelturm in Paris am Eiffelturm und nicht in einer australischen Kleinstadt. Ich weiß, es ist ein Gemischtwarenladen, aber Ihr Laden ist wirklich sehr gemischt - schon eher ein
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