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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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kennenlernen, nicht für sich selber kochen, keine Freunde finden, zum Tanzen gehen oder sonst was tun, bei dem man ein bisschen ins Leben eintauchen und sich dabei Abschiede und schöne Erinnerungen einhandeln kann. Deswegen habe ich, genau wie du, kein Leben. Und wie du kann ich nicht sterben. Ich frage dich also noch einmal: Was soll ein Mann da tun?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Kreativ werden!«
    »Oh.«
    »Kannst du zeichnen oder malen?« »Nicht die Bohne.«
    »Kannst du dir Geschichten ausdenken und sie aufschreiben?« »Nein.«
    »Kannst du schauspielern?« »Nein.«
    »Kannst du Gedichte schreiben?« »Nee.«
    »Kannst du Musik machen?« »Leider keinen Ton.«
    »Kannst du Gebäude konstruieren?« »Fürchte, nein.«
    »Na, auf irgendwas wirst du schon kommen. Ich glaube sogar, du weißt schon, was.« »Nein, weiß ich nicht.«
    »Weißt du doch.«
    »Ehrlich nicht.«
    »Du weißt, dass du es weißt. Und jetzt Tempo. Weg mit dir. Ich bin sicher, du hast es eilig, loszulegen.«
    »Nein, hab ich nicht, weil ich nicht weiß, wovon Sie reden!«
    Ich verließ das Gefängnis, benommen und innerlich wie ausgehöhlt. Entweder stand ich am Rande eines schrecklichen Zusammenbruchs oder unmittelbar vor einer wunderbaren Entdeckung. Sei kreativ, hatte der Mann gesagt.
    Aber wie?
    Ich musste nachdenken. Ich brauchte eine Idee. Ich trottete in die Stadt und lief unsere lumpigen fünf Straßen auf und ab. Wenn ich das Ende einer Straße erreichte, hinter der es nur noch den Busch gab, machte ich kehrt und marschierte wieder zurück. Warum wagte ich mich nicht in den Busch vor, der unsere Stadt von allen Seiten umgab? Tja, ich wünschte, ich hätte mich von Mutter Natur inspirieren lassen können, aber um dir die Wahrheit zu sagen, dieses Weibsstück lässt mich kalt. War immer so und wird so bleiben. Ich bekomme nun mal keine tollen Einfälle, wenn ich mir Bäume oder fickende Opossums angucke. Sicher, der schlafende Engel in meiner Brust macht sich bemerkbar, wie bei allen anderen auch, wenn er einen atemberaubenden Sonnenuntergang sieht oder einen plätschernden Bach, aber das bringt mir nichts. Ein zitternder Grashalm ist wunderbar, doch mental ist da nur eine große Leere. Sokrates muss sich das Gleiche gedacht haben, als er sagte: »Die Bäume auf dem Land lehren mich nichts.« Instinktiv wusste ich, dass nur der Mensch und vom Menschen gemachte Dinge mich inspirieren konnten. Das ist nicht sehr romantisch, aber so bin ich nun mal.
    Ich stand an der Kreuzung und sah zu, wie die Menschen ihre Alltäglichkeiten besorgten. Ich schaute mir das Kino an. Ich schaute mir den Gemischtwarenladen an. Den Friseurladen. Das Chinarestaurant. Dass sich all dies aus der Ursuppe entwickelt hat, war ein unergründliches, undenkbares Mysterium. Dass irgendein belaubter Strauch aus dem Urknall entstanden ist, finde ich nicht weiter erstaunlich, aber dass ein Postamt existiert, weil Kohlenstoff aus einer Supernova geschossen ist, ist ein so unerhörtes Phänomen, dass mir der Schädel davon brummt. Dann passierte es.
    Man nennt es Inspiration: plötzliche Ideen, die in dein Gehirn platzen, wenn du schon überzeugt bist, du wärst ein Hohlkopf.
    Ich hatte meinen Einfall, und es war ein echter Kracher. Ich rannte nach Hause und dachte, dass Harry uns beide, Terry und mich, in verschiedenen Fächern unterrichtete, aber um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass Terry überhaupt etwas von Harry gelernt hat. Gut, ein paar praktische Tipps, aber nichts von der Philosophie, nichts vom Kern der Sache!
     

ERSTES PROJEKT
    Ich bin nicht der geborene Handwerker. Die Zahl der von mir eigenhändig gefertigten Gegenstände auf dieser Welt ist gering; verstreut über sämtliche Müllkippen des Landes finden sich ein unförmiger Aschenbecher, ein nicht fertig gestrickter Schal, ein verbogenes Kruzifix, gerade groß genug, dass eine Katze sich daran für all die zukünftigen Sünden noch ungeborener Kätzchen opfern könnte, eine deformierte Vase und der Gegenstand, den ich am Abend nach meinem Besuch bei Harry in seinem stinkenden Knast angefertigt habe: die Vorschlagsbox.
    Ich baute sie voller Optimismus, ein voluminöses Ding, fünfzig Zentimeter in Höhe und Breite, dreißig Zentimeter tief, genug Platz, um buchstäblich Tausende von Verbesserungsvorschlägen aufzunehmen. Der Kasten sah aus wie ein riesiger kantiger Schädel, und nachdem ich ihn angestrichen hatte, nahm ich den Fuchsschwanz, machte die Mundöffnung breiter und hob die Winkel an

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