Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
berüchtigt.
    Unser kleiner Ort wurde von Polizei und Journalisten überschwemmt. Die Reporter waren eine Plage. Ein »Verpiss dich« ließen sie nicht gelten. Auch die Polizisten nervten. Sie stellten mir alle möglichen Fragen, und eine Zeit lang stand ich unter Verdacht. Ich gab zu, mit meinem Bruder zu diesem Spiel gegangen zu sein, sagte aber, ich hätte ihn aus den Augen verloren, sobald er sich in die Menge gestürzt hatte. Nein, wie er schoss, hätte ich nicht gesehen. Nein, seitdem hätte ich nichts mehr von ihm gehört. Nein, ich wisse nicht, wo er wohnt. Nein, wir stünden uns nicht nahe. Nein, seine Freunde oder Bekannten würde ich nicht kennen. Nein, ich hätte keine Ahnung, woher er die Waffe hatte. Nein, ich hätte nicht einmal gewusst, dass er bewaffnet war. Nein, ich erwarte nicht, dass er sich melde. Sollte er sich melden, würde ich nicht die Polizei informieren, denn schließlich sei er ja immer noch mein Bruder. Ja, der Begriff Justizbehinderung sei mir bekannt. Ja, auch der Begriff Beihilfe sei mir bekannt. Und ja, ich sei bereit, ins Gefängnis zu gehen, aber lieber sei es mir, ich müsse nicht.
    Auch meine Mutter wurde von der Polizei ausgequetscht, beantwortete aber nicht einmal die einfachsten Fragen - sie hätte dem Chief Detective nicht einmal die Uhrzeit gesagt.
    Terry würde nie wieder heimkommen können. Das war es, was meine Mutter fertigmachte. Sie war untröstlich und schlief von da an die meisten Nächte in Terrys altem Bett. Zu jeder Mahlzeit kochte sie eines seiner Lieblingsgerichte, und sie pinnte, vielleicht um sich selbst zu kasteien, den Zeitungsartikel mit Terrys Foto mit einem Ananasmagneten an den Kühlschrank. Dieses Bild war ihr Ein und Alles, sie vermaß es sogar mit einem Lineal. Eines Morgens kam ich herunter und sah, wie meine Mutter das Bild studierte. »Komm, ich werfe es weg«, sagte ich. Sie erwiderte nichts, aber als ich danach griff, rammte sie mir den Ellbogen in den Magen. Meine eigene Mutter! Später, um 4 Uhr morgens, wachte ich auf und sah sie auf meiner Bettkante sitzen.
    »Was ist los?«
    »Erinnerst du dich noch an William Wilson von Edgar Allan Poe? Und Der Doppelgänger von Dostojewski?«
    Das waren Bücher, die sie mir vorgelesen hatte, als ich im Koma lag. Ich erinnerte mich gut daran, praktisch Wort für Wort.
    »Ich glaube, Terry hat einen Doppelgänger«, sagte sie.
    Ich schüttelte den Kopf und meinte: »Das glaub ich nicht.«
    »Hör doch mal zu. Jeder hat irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger. Und genau das ist hier passiert. Terry hat niemanden erschossen. Es war der andere, der Doppelgänger.«
    »Mum, ich war dabei. Es war Terry.«
    »Ich gebe zu, dass er wie Terry aussieht. Deswegen heißt es ja Doppelgänger. Das genaue Gegenstück. Nicht das mehr oder weniger genaue Gegenstück.«
    »Mum...«
    Bevor ich weitersprechen konnte, war sie verschwunden.
    Aber wo war Terry jetzt? Bei Harry? Beim Frühstück am nächsten Morgen beschloss ich, der Sache nachzugehen. Als ich aus dem Haus trat, sah ich, dass die Journalisten verschwunden waren, aber im Bus in die Stadt kam mir der Gedanke, dass ich möglicherweise verfolgt wurde. Ich beobachtete die Autos hinter uns. Prompt entdeckte ich ihn: Ein blauer Commodore verfolgte uns. An der nächsten Haltestelle stieg ich aus und ging in ein Kino. Es lief eine Komödie über einen Mann, der stirbt, aber als Geist wiederkehrt und seiner Frau erscheint, wann immer sie einen anderen Mann ansieht. Alle lachten, nur ich nicht; ich hielt das für grotesk und empfand echten Hass auf die Toten, diese selbstsüchtigen Arschlöcher. Als ich zwei Stunden später wieder ins Sonnenlicht trat, war der Wagen immer noch da. Ich wusste, ich musste meine Verfolger loswerden, sie »abschütteln«, also verdrückte ich mich in ein Geschäft. Es war ein Herrenausstatter. Ich probierte ein schwarzes Dinnerjacket an, in dem ich gut aussah, nur die Ärmel waren eine Idee zu kurz. Durch die Beine der Schaufensterpuppen hindurch sah ich draußen meinen blauen Verfolger. Ich fragte, ob es einen Hintereingang gebe, obschon ich ihn als Ausgang nutzen wollte. Es gab einen. In der Gasse stand ein weiterer Commodore, nur dass dieser weiß war und Ledersitze hatte, die ich beinahe riechen konnte. Ich marschierte zügig die Straße lang und hielt nach einem weiteren Laden Ausschau, in den ich schlüpfen konnte.
    Und auf diese Weise verging der ganze Tag. Das war sehr, sehr ärgerlich. Ich konnte sie einfach nicht abschütteln. Sie

Weitere Kostenlose Bücher