Vatermord und andere Familienvergnuegen
ich, hatte sie auf ihren Reisen etwas gesehen, das es verscheucht hatte.
»Hast du das von Terry mitgekriegt?«, fragte ich.
»Das ist unfassbar.«
»Bist du deswegen nach Hause gekommen?«
»Nein, ich hab erst davon erfahren, als ich am Flughafen eine Zeitung gesehen habe. Der Busfahrer hat mir den Rest erzählt. In Europa hört man nichts über Australien, Marty. Es ist merkwürdig. Kein Mensch weiß da was über uns.«
In diesem Moment begriff ich zum ersten Mal, dass in Australien zu leben etwa so ist, als bewohne man ein abseits gelegenes Zimmer in einem sehr großen Haus. Nur gut für uns, dachte ich.
»Ich bin hier, um Dad zu holen. Ich nehm ihn mit nach Übersee.«
»Wohin?« »Paris.«
Ich schrieb meinen Namen mit einem Stock auf den Boden. Martin Dean. Krümelchen brauner Erde säumten ihn. »Hast du was von Terry gehört?«, fragte sie. »Nein.«
»Er wird sich noch umbringen lassen.« »Höchstwahrscheinlich.«
Ich schrieb ihren Namen neben meinen in den Dreck. Da standen unsere Namen, Seite an Seite.
»Er tut etwas Bedeutendes«, sagte sie. »Er ist ein Mörder.« »Aber aus Überzeugung.« »Und weiter?«
»Weiter nichts. Er glaubt an etwas, das ist alles.«
»Vergewaltiger und Pädophile glauben auch an etwas. Hitler glaubte an etwas. Jedes Mal, wenn Heinrich VIII. einer Frau den Kopf abschlagen ließ, glaubte er an etwas. Es ist nicht schwer, an etwas zu glauben. Jeder glaubt an irgendetwas.«
»Du nicht.«
»Nein, ich nicht.«
Das war mir über die Lippen gekommen, bevor ich begriff, was ich da gesagt hatte. Aber wenn ich es mir recht überlegte, sah ich, dass es absolut stimmte. Ich konnte nicht eine einzige Sache benennen, an die ich glaubte. Für mich wiegt ein Prozent Zweifel genauso schwer wie hundert Prozent. Wie könnte ich dann an etwas glauben, wenn das, was womöglich nicht stimmt, womöglich nicht stimmen könnte?
Ich zeichnete ein Herz um unsere Namen auf dem Boden.
»Wenn du etwas von Terry gehört hättest, würdest du es mir doch sagen, oder?«
Ich bedeckte unsere Namen rasch mit Erde. Wie dumm ich war. Sie liebte mich nicht. Sie liebte ihn. Plötzlich wurde ich rot vor Verlegenheit.
»Du hast von ihm gehört.«
Sie packte mein Handgelenk, aber ich riss mich los. »Hab ich nicht.« »Hast du doch!« »Nein, ehrlich nicht!«
Sie zog mich an sich heran, packte mein Gesicht mit beiden Händen und gab mir einen langen, langen Kuss auf den Mund. Dann ließ sie los, und ich stand sprachlos und wie betäubt da. Ich konnte die Augen nicht öffnen.
»Wenn du Terry siehst, gib ihm den von mir.«
Das öffnete mir die Augen. Ich lächelte, damit mir nicht vor Wut Schaum vor den Mund trat. Ich hasste sie. Am liebsten hätte ich sie in den Dreck gestoßen. Ich sagte etwas Ähnliches wie: »Ich hasse dich und werde dich für alle Zeiten hassen.« Dann ging ich nach Hause, obwohl zu Hause der letzte Ort war, an dem ich sein wollte. Er hatte sich in eine Stätte minderer historischer Bedeutung verwandelt, wie etwa das Restaurantklo, auf dem Hitler vor dem Reichstagsbrand war, und deswegen waren die Reporter mit ihren schlechten Manieren und null Mitgefühl zurückgekehrt und riefen ihre hirnlosen Fragen durch die Fenster.
Als ich nach Haus kam, ließ es sich kaum übersehen, dass mein Vater es bis oben hin satt hatte. Schwankend stand er im Türrahmen, betrunken. Sein Gesicht war starr wie bei einem Kaumuskelkrampf.
»Ihr wollt ins Haus, ihr Drecksäcke? Dann rein mit euchl«, brüllte er.
Die Reporter guckten sich zögerlich an, bevor sie sich ins Haus wagten. Sie befürchteten eine Falle. Doch es war keine. Es war lediglich ein Mann, der sich schwankend am Rand des Wahnsinns bewegte.
»Hier. Macht davon mal ein Foto«, sagte mein Vater und zog die Küchenschränke auf. Er riss die Regalböden heraus. Er führte sie in mein und Terrys Schlafzimmer. Er hielt ihnen eine von Terrys Unterhosen unter die Nase. »Da! Riecht dran! Na los!« Er kehrte das Unterste zuoberst. »Ihr müsst sehen, was ihn gezeugt hat.« Mein Vater knöpfte seinen Hosenschlitz auf, holte seinen Penis heraus und wedelte damit herum. »Hier, ihr Maden. Er war eine kriminelle Samenzelle! Hat das Rennen zum Ei gewonnen! Hier ist er rausgekommen! Los, filmt das! Filmt das, ihr miesen Parasiten!« Die Reporter lachten, während meine Mutter sie durchs ganze Haus scheuchte. Aber sie wollten noch nicht gehen. Sie hatten einen Mordsspaß und krümmten sich vor Lachen. Die weinerliche Verzweiflung dieses
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