Vatermord und andere Familienvergnuegen
es schied nicht friedlich dahin. Ganz und gar nicht. Zwei Dinge hatte sie in ihrem Leben hervorgebracht: mich und Terry, und Terry war ihr nicht nur schon vor langer Zeit entglitten, sondern schmorte nun auf unbestimmte Zeit für sie unerreichbar im Gefängnis. So blieb nur ich. Von ihren beiden Jungen, über die sie einmal gesagt hatte, sie würde sie sich am liebsten »an den Leib heften, damit sie sie immer bei sich hätte«, war nur ich geblieben, das Einzige, was ihrem Leben noch Sinn verlieh. Ich würde sie nicht verlassen, so abscheulich der Gedanke auch war, dass ich in diesem verdreckten Haus eigentlich nur auf ihren Tod wartete.
Außerdem war ich mittellos. Ich konnte gar nicht woandershin.
Dann wurde alles durch einen Brief verkompliziert, der per Kurier kam. Er war von Stanley.
Lieber Martin,
tja, was für ein Scheißschlamassel!
Das Buch ist vergriffen, aus den Läden verschwunden, verboten. Der Staat verklagt mich, diese Drecksäcke. Du bist aber aus dem Schneider, im Moment jedenfalls. An deiner Stelle würde ich mich eine Weile rar machen. Geh nach Übersee, Martin. Ich habe diesen Clowns sehr aufmerksam zugehört. Für die ist die Sache noch nicht erledigt. Die kriegen dich. Ich hab dir ja gesagt, du sollst deinen verdammten Namen da nicht reinsetzen! Jetzt kriegen sie dich dran, weil du einen Kriminellen, der gesucht wird, versteckt und seine Syntax verbessert hast. Aber du hast noch eine kleine Atempause. Die Bullen haben keine blasse Ahnung vom Verlagswesen. Sie suchen noch nach einem Weg, die Behauptung zu widerlegen, das ganze Ding sei auf dem Postweg abgewickelt worden. Außerdem, wie findest du denn das: Von Harry wollen sie absolut nichts hören. Jedes Mal, wenn ich seinen Namen erwähne, schlagen sie mir ins Gesicht. Sie wollen einfach nicht glauben, dass nicht Terry das Buch geschrieben hat. Sie denken wohl, der Fall wäre dann aufsehenerregender. Kein Wunder, dass die Welt vor die Hunde geht. Wie soll man irgendwem trauen, wenn sie einen doch alle nur mundtot machen wollen, um selber im Rampenlicht zu stehen? Na ja. Ehrlich, Martin, hör dieses eine Mal auf mich. Verlass das Land! Die werden mit einem ganzen Aktenkoffer voller Schwachsinnsanschuldigungen hinter dir her sein. Ich gebe dir alle Einkünfte vom Erstverkauf. Glaub nicht, ich hätte die Spendierhosen an. In Wahrheit macht es keinen Sinn, wenn ich auf dem Geld hocken bleibe, denn das Gericht wird alles konfiszieren. Aber ich weiß, wie sehr du dich ins Zeug gelegt hast, wie viel es dir bedeutet hat. Außerdem möchte ich mich auf diese Weise für den tollsten Spaß meines Lebens bedanken. Wir haben etwas bewegt! Wir haben für Aufsehen gesorgt! Zum ersten Mal im Leben hatte ich das Gefühl, an etwas Bedeutendem teilzuhaben. Dafür danke ich dir. Beiliegend ein Scheck über fünfzehntausend Dollars. Nimm sie und verschwinde. Sie kommen dich holen, Martin. Und zwar bald.
Mit herzlichsten Grüßen
Stanley
Ich schüttelte den Umschlag, bis etwas herausfiel. Der Scheck. Da stand es: fünfzehntausend Dollars. Keine Riesensumme, aber für einen Mann, der es gewohnt war, Zigarettenkippen zu recyceln, schon recht beachtlich.
Damit war es abgemacht: Ich würde verschwinden. Zum Teufel mit meinem unverbrüchlichen Schwur - ich würde ihn brechen. Ich glaubte nicht, dass ich meiner Mutter einen Gefallen täte, wenn ich neben ihrem anderen missratenen Sohn im Gefängnis verrotten würde. Außerdem war Knast eher Terrys Kragenweite. Ich würde die erste Dusche nicht überleben.
Ich war ihn noch nicht einmal besuchen gewesen, seit er einsaß. Das mag nach dem ganzen Sich-Sorgen-Machen und Hinterherrennen seltsam klingen, aber ehrlich gesagt, stand mir alles, was mit Terry Dean zu tun hatte, bis oben hin. Der Zuspruch der Öffentlichkeit hatte mich irgendwann geschafft. Und es blieb jetzt auch nichts mehr, was ich für ihn tun konnte. Ich brauchte eine Atempause. Ich hatte allerdings einen Brief von ihm erhalten, und das war überhaupt das erste Mal, dass ich seine Handschrift sah.
Lieber Martin,
was ist das für ein Scheiß mit einem Buch? Alle labern ständig davon. Wenn du 'n Moment Zeit hast, klär das doch bitte mal, ja? Ich will nicht als Schriftsteller berühmt sein. Man soll mich als Outlaw kennen, der mit Schmutz und Korruption im Sport aufgeräumt hat. Nicht wegen irgendeinem Geschreibsel in irgendeinem blöden Buch.
Gefängnis - gähn. Immerhin kann ich unser Haus von hier oben sehen. Der Gefängnisdirektor
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