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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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behandelt mich gut, weil ich doch ein Promi bin, und hat mir neulich sein Fernglas geliehen. Rate mal, was ich gesehen habe: Dad, wie er zu mir mit einem Fernglas raufguckt! Verrückt!
    Aber egal, denk bloß dran, dass du endlich aus diesem Kaff verduftest und was aus deinem Leben machst. Die Politik, Alter.
    Dazu würde ich dir raten. Du bist der Einzige mit Grips in diesem ganzen trüben Verein.
    Love,
    Terry
    PS: Komm mich mal besuchen.
     
    Ich begann sofort mit dem Packen. Ich kramte einen alten braunen Koffer hervor und schmiss ein paar Klamotten hinein. Dann sah ich mich in meinem Zimmer nach Erinnerungsstücken um, bremste mich aber, als mir einfiel, dass es der Sinn von Erinnerungsstücken war, Erinnerungen wachzurufen. Scheiß drauf. Ich hatte nicht vor, meine Erinnerungen überallhin mitzuschleppen. Sie waren zu schwer.
    »Was machst du da?«, fragte mich meine Mutter. Ich fuhr mit schamrotem Gesicht herum, als sei ich beim Masturbieren erwischt worden.
    »Ich gehe fort«, sagte ich.
    »Wohin?«
    »Ich weiß nicht. Paris vielleicht«, sagte ich, zu meiner eigenen Überraschung. »Ich werde Caroline Potts aufspüren und sie bitten, mich zu heiraten.«
    Dazu sagte Mum nichts, sie schaukelte nur auf ihren Füßen hin und her und sagte: »Essen gibt's in einer halben Stunde.«
    »Okay«, erwiderte ich. Als sie weg war, starrte mich das gähnende Maul meines Koffers anklagend an.
    Nach einem schweigend verlaufenen Mittagessen ging ich ein letztes Mal den Hügel hinauf, um mich von Terry zu verabschieden. Es war der heißeste Tag in jenem Sommer, so heiß, dass man sich seinen Frühstücksspeck auf einem Blatt hätte braten können. Selbst der Wind war heiß, und ich hatte das Gefühl, in einen riesigen Haartrockner hineinzuspazieren. Schweiß rann mir in die Augen. Als ich das Gefängnistor passierte, legte sich die schwielige Hand der Nostalgie fest um mein Herz, und ich begriff, dass man beschissene Zeiten genauso sehr vermisst wie gute Zeiten, denn letzten Endes vermisst man eigentlich nur die vergangene Zeit an sich.
    Der Wachhabende wollte mich nicht einlassen.
    »Keine Besucher. Terry sitzt in Einzelhaft«, sagte er.
    »Warum?«
    »Schlägerei.«
    »Tja, wie lange wird er denn in Einzelhaft bleiben?« »Keine Ahnung. Einen Monat?« »Einen Monat in Einzelhaft! Ist das überhaupt legal?« »Keine Ahnung.«
    Verdammt! Ich konnte nicht noch einen Monat warten, nur um Auf Wiedersehen zu sagen. Der Gedanke, mir selbst den Wind aus den Segeln zu nehmen, erschreckte mich.
    »Tja, könnten Sie ihm dann vielleicht ausrichten, dass sein Bruder hier war, um sich zu verabschieden?«
    »Aber sein Bruder war gar nicht hier.«
    »Ich bin sein Bruder.«
    »Oh. Und was soll ich sagen?«
    »Sagen Sie ihm, ich bin in Übersee.«
    »Aber jetzt sind Sie doch wieder da, oder? Wie lange waren Sie denn weg?«
    »Ich weiß nicht. Ein paar Jahre vielleicht. Aber wenn Sie es ihm sagen, setzen Sie es ins Futur, okay?« »Warum?« »Ein Scherz.«
    »Alles klar. Ich werde ihm sagen, sein Bruder wird für ein paar Jahre nach Übersee gehen«, erklärte er mit einem Zwinkern.
    »Perfekt«, erwiderte ich und kehrte dem Gefängnis den Rücken zu. Ich begann den steilen Abstieg den baumlosen Hügel hinunter und nahm das unverstellte Panorama unseres Ortes in mich auf. Hübsches Städtchen. Hübsches kleines Städtchen.
    Leck mich, hübsches kleines Städtchen.
    Ich hoffe, du brennst nieder.
    Ich schlenderte durch die Straßen und ventilierte diverse Rachefantasien, wie ich eines Tages reich und berühmt zurückkehren würde, aber das verging mir bald wieder. In Wahrheit wollte ich immer nur, dass mich alle mochten, und wenn man reich und berühmt an einen Ort zurückkehrte, flogen einem nicht gerade die Herzen zu.
    Während ich noch diesen fruchtlosen Gedanken nachhing, kam ein sonderbares Gefühl in mir auf, und ich hörte ein komisches Geräusch, als würde ein kleiner Mann in meinem Bauch mit Mundwasser gurgeln. Das Gefühl verstärkte sich rasch zu einem grässlichen Schmerz. Ich krümmte mich und musste mich an einer Straßenlaterne festklammern. Was war das? Es fühlte sich an, als hätten die Drüsen in meinem Körper begonnen, Batteriesäure abzusondern.
    So plötzlich, wie er gekommen war, verschwand der Schmerz auch wieder, und ich tappte leicht benommen nach Haus.
    Als ich in mein Zimmer kam, kehrte der Schmerz schlimmer zurück als zuvor. Ich legte mich hin und schloss die Augen mit dem Gedanken, ein Nickerchen von zwanzig

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