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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Nachrichten«, sagte Dave bekümmert. »Er wurde bei einer Messerstecherei erschossen. Wie geht es deinen Eltern, Martin? Ehrlich gesagt, war der Besuch bei Terry nur die eine Hälfte meiner Mission. Ich möchte auch deine Eltern besuchen und sie um Vergebung bitten.«
    Ich riet ihm nachdrücklich davon ab, aber er ließ sich nichts sagen. Es sei Gottes Wille, erklärte er, und dagegen fiel mir kein überzeugendes Argument ein. Religiöse Spinner! Es reicht ihnen nicht, an Gott zu glauben, nein, sie müssen es gründlich machen und Einblick in seinen unermesslichen Geist nehmen. Sie fühlen sich durch ihren Glauben berechtigt, die glorreiche Liste seiner unerledigten Aufgaben einzusehen.
    Letztendlich kam Dave doch nicht zu uns nach Hause; er lief meinem Vater zufällig vor dem Postamt über den Weg, und noch ehe er seine Bibel zücken konnte, hatten sich die Hände meines Vaters um die Kehle dieses armen Trottels geschlossen. Dave wehrte sich nicht. Er glaubte, es sei Gottes Wille, auf den Stufen zum Postamt erwürgt zu werden, und als mein Vater ihn zu Boden stieß und ihm ins Gesicht trat, glaubte er, Gott habe es sich eben anders überlegt.
    Du musst wissen, dass mein Vater tatsächlich eine Todesliste hatte, und Daves Name stand darauf. Die Liste fiel ihm während des Kampfs aus der Jackentasche. Ich hob sie auf. Es waren sechs Namen.
     
    Die Menschen, die meinen Sohn auf dem Gewissen haben (in willkürlicher Reihenfolge)
    1.   Harry West
    2.  Bruno
    3.  Dave
    4.  Der Erfinder der Vorschlagsbox
    5.  Richter Philip Krueger
    6. Martin Dean
    Angesichts der Tatsache, dass mein Vater sich nicht geniert hatte, mir fast mein ganzes Leben lang mit jedem Blick und jeder Geste Vorwürfe zu machen, wunderte es mich nicht, meinen Namen auf der Liste zu finden; zu meinem Glück hatte er nicht erkannt, dass ich eigentlich sogar zweimal draufstand.
    Nach dem Gerangel verschwand mein Vater unter Drohungen stolpernd in der Dunkelheit. »Ich krieg jeden Einzelnen von euch!«, brüllte er in die Nacht. Die Polizei kam wie immer verspätet angeschlurft, wie Müllmänner nach einem Straßenfest, und kaum dass Dave wieder Luft bekam, rief er: »Ich erstatte keine Anzeige! Lassen Sie ihn zurückkommen! Sie stellen sich Gottes Ratschluss in den Weg!«
    Ich schnitt ein Gesicht und hoffte um Daves willen, dass Gott sein anmaßendes Gefasel gerade nicht hören konnte. Ich denke, Gott mag Speichellecker genauso wenig wie jeder andere.
    Um die Wahrheit zu sagen: Dieser Vorfall bewahrte mich davor, vor Langeweile zu sterben. Nun, da das Handbuch des Verbrechens fertig und begraben, Caroline fort, Terry weggesperrt und Harry tot war, hatte unsere Stadt herzlich wenig zu bieten, was für sie sprach. Die, die ich liebte, waren unerreichbar für mich, und ich hatte nichts, womit ich mich beschäftigen konnte. Kurz gesagt, ich hatte keine Projekte mehr.
    Und doch konnte ich nicht weg. Zwar konnte ich es kaum noch ertragen, mit den lebenden Toten unter einem Dach zu wohnen, doch was blieb mir angesichts meines bedauerlichen Schwurs, meine Mutter unter keinen Umständen zu verlassen, anderes übrig? Und in diesem erschreckenden Verfallszustand war es gänzlich unmöglich.
    Ich konnte weder etwas an ihrer Verfassung ändern noch in irgendeiner Weise ihr physisches Leiden lindern, aber ich war mir bewusst, dass meine bloße Anwesenheit entschieden zu ihrem Seelenfrieden beitrug. Kannst du dir vorstellen, Jasper, welche Bürde es ist, jemanden durch deine bloße Gegenwart glücklich zu machen? Nein, wahrscheinlich nicht. Tja, meine Mutter war immer sichtlich erfreut über ihre Söhne - das Aufleuchten in ihren Augen, wenn Terry oder ich das Zimmer betraten, war nicht zu übersehen. Was für eine Bürde für uns! Wir hatten das Gefühl, den bewussten Raum unbedingt betreten zu müssen, wenn wir nicht für ihre Traurigkeit verantwortlich sein wollten. Was für eine Nerverei! Natürlich ist es fürs Selbstwertgefühl nicht schlecht, wenn jemand dich so sehr braucht, dass deine bloße Gegenwart schon eine Lebenshilfe darstellt. Aber kannst du dir vorstellen, Jasper, wie es ist, wenn derselbe geliebte Mensch vor deinen Augen verfällt? Hast du je versucht, jemanden bei starkem Regen auf der anderen Straßenseite zu erkennen? So war das mittlerweile. Ihr Körper war zu schmächtig geworden, um sie noch am Leben zu erhalten. Und je näher ihr Tod rückte, desto näher rückte der Zeitpunkt, an dem auch dieses Bedürfnis nach mir sterben würde. Aber

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