Vaters böser Schatten
Tante Claire telefoniert. Sie weiß, dass wir heute ankommen. Sie freut sich wahnsinnig auf dich.“
Eileen saß mit starrem Blick da und weinte leise.
Ryan drehte sich zu ihr um und ergriff ihre zitternde Hand. „Du weißt, dass der Kontakt abgebrochen war, weil Dad es so wollte. Sie ist deine Schwester. Und ich will meinen Cousin wiedersehen. Tante Claire hat genauso geweint, wie du jetzt. Freu dich, okay?“
Eileen nickte stumm.
Leon, der immer wieder in den Rückspiegel sah, lächelte leicht und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Eine knappe Dreiviertelstunde später erreichten sie die Ortsgrenze von Miami.
Ryan wurde richtig aufgeregt, da er noch nie den Ozean gesehen hatte. „Ich kann ihn schon riechen!“
„Du spinnst, Snoopy!“, grinste Leon.
Ryan gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Biege da vorn links ab, Leon!“, sagte Eileen plötzlich.
„Ähm… mein Navi sagt aber was anders!“, warf Leon ein.
„Vertrau mir.“
Leon zuckte mit den Schultern und bog kurz darauf auf eine Straße, von wo aus sie das Meer im Sonnenlicht funkeln sehen konnten.
„Gott, ist das schön!“, sagte Ryan immer wieder und griff nach Leons Hand. „Danke!“
„Keine Ursache, mach ich doch gern.“
Vierzig Minuten später bog Leon in eine Einfahrt ein, die zu einem blassblauen dreistöckigen Haus führte. Vor der Garage stand ein schwarzer Geländewagen, dahinter ein gebraucht aussehender Kleinwagen. Blumenbeete säumten den Weg und an der Garagentür hing ein Basketballkorb.
Noch bevor einer ausgestiegen war, ging die Haustür auf.
„Meine Güte, Claire!“, stammelte Eileen und öffnete schnell die Autotür.
Ehe Ryan und Leon sich versahen, lagen die beiden Schwestern sich weinend in den Armen.
„Leni, wie geht es dir? Lass dich ansehen!“ Claire schob ihre Schwester ein Stück von sich weg. „Du hast noch immer eine traumhafte Figur! Das ist so ungerecht!“, lächelte sie weinend.
„Dabei tue ich nichts dafür. Wie geht es dir?“
„Ich weiß es nicht. Ich bin im Moment zu aufgeregt, um einen klaren Gedanken zu fassen. Seit Ryan gestern Nachmittag angerufen hat, bin ich nur noch durchs Haus getigert. Dave musste mich fast an der Couch festbinden.“ Claires Blick fiel auf Ryan, der am Auto lehnte und lächelte.
„Meine Güte, bist du groß geworden!“, stieß sie hervor. „Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen?“
„Ungefähr sechs Jahre. Hallo, Tante Claire!“ Er umarmte sie und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Ist es schon so lange her? Mein Gott, wie die Zeit vergeht.“ Sie sah zu Leon, der die Wiedersehensszene amüsiert beobachtete.
„Tante Claire, das ist mein Freund Leon.“
„Hallo, freut mich“, sagte er und sie schüttelten sich die Hände.
„Mich auch. Nun kommt aber rein. Mittagessen ist fertig. Die Taschen können wir nachher holen!“ Claire schob ihre Schwester resolut vor sich her ins Haus, die Jungen folgten.
„Ist Dylan zu Hause?“
„Ja, er schläft noch. Versuche es, ob du ihn wach bekommst. Treppe ganz nach oben, die linke Tür.“
Ryan lief los, Leon blieb stehen.
„Nun komm schon!“
Leon folgte seinem Freund die Stufen hinauf, dann öffneten sie leise die Zimmertür.
I m Rausch der Brandung
Dylan lag tief schlafend im Bett und schnarchte ein wenig.
Grübelnd sah Ryan sich um und drehte schließlich die Anlage auf.
„Boah, Mum!“, stieß Dylan mit rauer Stimme hervor. „Mach die Musik aus. Ich bin doch gerade erst ins Bett gegangen!“
„Mann, das ist mir so egal!“, lachte Ryan.
Dylan öffnete die Augen und saß kerzengerade im Bett. „Scheiße, wer bist du denn?“
Leon lachte los, zog somit die Aufmerksamkeit Dylans auf sich und wandte sich amüsiert ab.
„Mann, Thompson, werd wach und sieh genauer hin!“, gab Ryan zurück.
Dylan rieb sich die Augen und musterte den Typ, der so frech grinsend vor seinem Bett stand. „Ryan?“
„Fabelhaft, er erkennt mich noch!“
Dylan sprang auf, stand in Shorts und Shirt auf seinem Bett und fiel seinem Cousin um den Hals. „Himmel, was machst du hier?“, schrie er.
„Taub werden! Hey, brüll mich nicht an!“, lachte Ryan und löste sich aus der Umarmung. „Siehst gut aus, vielleicht ein bisschen verpennt, aber gut!“
„Danke, du auch. Mann, du bist vielleicht gewachsen. Warst du nicht immer kleiner als ich?“ Dylan sprang vom Bett und blieb neben Ryan stehen, der tatsächlich ein kleines Stück größer war. Nun fiel sein Blick auf Leon.
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