Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Nacht. Er hatte länger geschlafen, als es ihm recht war. Die Teller und das Essen waren verschwunden. Allein das Manuskript und die zwei Weingläser standen noch auf dem Tisch. Miguels immer noch gefüllt. Er hatte zwar keine Ahnung, welche Wirkung bei Miguel eingetreten wäre, aber es war einen Versuch wert gewesen. Seitdem er die Zeilen im Manuskript ausgelassen hatte, war ihm der Plan, Miguel auf diese Art außer Gefecht zu setzen nicht aus dem Kopf gegangen. Die Mädchen aus Schottland waren aufgrund von Knoblauch gelähmt gewesen. Das hatte er Miguel nicht vorgelesen. Hatte er es bemerkt?
Ein Mitbruder hatte Comitti das Knoblauchextrakt ohne Geruch empfohlen. Es sollte auf natürliche Weise gegen Verkalkung helfen. Er hatte sich damals geärgert. Wollte ihm sein Mitbruder damit sagen, dass er verkalkte? Er hatte es jedenfalls nicht eingenommen. Miguel leider auch nicht, er machte ja Diät.
Comitti schauderte. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, das war ihm klar. Er hatte das Manuskript fertig vorgelesen. Miguel brauchte ihn nicht mehr. Wenn er ihn vorher überhaupt gebraucht hatte. Er konnte schließlich selbst lesen. Ein anderer Gedanke kam Comitti in den Sinn, der ihn erst recht erzittern ließ. Wenn es wirklich so war, dass Miguel die Gespräche mit ihm genoss, dann würde er ihn zum Vampir machen. Comitti sah in seine Seele. Für einen kurzen Augenblick liebäugelte er mit der Vorstellung. Sein Wissen, alles, was er studiert hatte, wäre nicht umsonst gewesen. Er würde es für immer behalten können. Es würde nicht mit ihm zusammen in die Gruft fahren. Er könnte sich in der Ewigkeit weiteres Wissen aneignen, nach Herzenslust studieren und lernen. Comitti schüttelte den Kopf und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Er würde sich nicht auf die Schattenseite ziehen lassen. Blut von Unschuldigen vergießen. Er würde kämpfen. Er würde … Kurz blitzte der Sizilianer in ihm auf. Er fühlte sich wie damals, als er ein junger Mann gewesen war. Damals, als er noch dachte, dass es sich lohnte, für etwas zu kämpfen.
Comittis Muskeln erschlafften. Er hatte sie unbewusst angespannt, als er sich gedanklich auf den Kampf eingestellt hatte.
Er dachte an Van Helsing und die gesamten Vampirbücher, die er gelesen hatte. Was half gegen Vampire? Knoblauch, ein Holzpflock durch das Herz getrieben, eine Kugel aus Silber? Er schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Diese Mittel halfen alle nicht. Nicht bei Miguel. Comitti nahm sich vor, sich sofort aus dem Fenster zu stürzen, wenn ihn Miguel losband. Bis dahin wollte er beten. Er hoffte, dass die heilige Apollonia seine Gebete erhörte. Er betete, dass sie sie hörte. Dass sie helfen konnte.
Er hoffte, dass Pater Marco seinen kleinen Schwindel bemerkt hatte. Wie oft war er, der Sizilianer, von seinen italienischen Mitbrüdern deswegen aufgezogen worden. Ob Marco etwas aufgefallen war? Er war Franzose. Genau wie Paolina , schoss es ihm durch den Kopf. Ob Paolina sich um mich sorgen wird? Sie ist die Wirtin eines Cafés , wies er sich zurecht. Sie wird sich nicht um jeden Kunden sorgen, der ein paar Tage nicht erscheint. Warum hatte er sich ihr nicht anvertraut, als er sie das letzte Mal sah? Mit Wehmut dachte er an den Abend zurück, als er in dem kleinen, gemütlichen Café San Laurenzio gesessen hatte und seinen Caffè Corto zu sich genommen hatte. Comittis Gedanken stockten. Schon wieder Laurentius , schoss es ihm durch den Kopf. Zufall? Comitti glaubte nicht mehr an Zufälle.
Die Gebeine des heiligen Laurentius liegen in der Capella Paolina de Vatican. Paolina? Comitti schüttelte den Kopf. Paolina ist eine Wirtin, kein Vampir. Sein Gehirn schien sich die unmöglichsten Zusammenstellungen zurechtzubasteln, nur weil seine Lage aussichtslos war.
»Bereit für die Nacht der Nächte?« Miguel war an sein Bett getreten und hatte ihn sanft an der Schulter berührt.
»Ich werde mich nicht kampflos ergeben.« Comitti krächzte. Der Knebel, von dem ihn Miguel sofort befreite, ließ seinen Mund trocken zurück.
»Sicher nicht. Sie sind Sizilianer.« Miguel lächelte Comitti liebevoll an. »Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie am Stuhl festbinde, aber Sie sind mir zu wertvoll, als dass ich es zulassen kann, dass Sie sich aus dem Fenster stürzen.«
Mit diesen Worten hatte Miguel zwar Comittis Hände befreit und ihn zum Sessel geführt, doch sogleich seine Füße fest an den Sesselbeinen arretiert.
Comitti griff nach dem Glas Wasser, das Miguel bereitgestellt hatte. »Woher
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