Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Vom Osten wurde das Massiv von der aufgehenden Sonne angestrahlt. Es lag in ein märchenhaftes Rosa getaucht vor uns. Zuvor, auf der Straße nach Burgos, waren mir diese Berge nicht aufgefallen. Wir waren zwei Tage lang durch Wald geritten und ich hatte durch meine zunehmende Verzweiflung kaum mehr auf die Umgebung geachtet. Hatte Salvador diese Berge gemeint? So musste es sein. Ich war nicht in Geografie bewandert, kannte Spanien nicht und hatte angenommen, Salvador meinte die Pyrenäen, als er von Bergen sprach.
Er meinte, wie er mir später erklärte, das iberische Randgebirge. Darin kannte er jeden Stein, wie er uns jetzt bewies. Er führte uns auf Wege, die wir noch einen Augenblick zuvor nicht gesehen hatten. Er schloss kleine Pfade, in die wir einbogen, mit alten Ästen, die sonderbarerweise immer bereitzuliegen schienen. Den Pferden ließ er die Hufe umwickelt, obwohl es mühsam für sie war, damit sie nicht zu starke Abdrücke hinterließen. Er durchquerte mit uns drei kleine Bäche und Flüsse. An alles schien er zu denken. Wir ritten konzentriert und schweigsam.
Es war schon später Vormittag, als er sich im Sattel nach mir umdrehte und mich mit Entsetzen ansah. »Um Gottes willen, Lucienne, was ist mit deinem Gesicht geschehen?« Ich versuchte, ihn mit einem Lächeln zu beruhigen. Mein Auge war zugeschwollen und mir schmerzte die linke Gesichtshälfte. Mein Lächeln erstarb auf halbem Wege, da das Verziehen des Mundes dem Rest meines Gesichts noch größere Schmerzen zufügte. »Der Graf.« Mehr musste ich nicht erklären.
Salvador schüttelte die Faust in die Richtung, in der er die Verfolger erhoffte und ritt schweigend weiter.
Wir ritten noch über die Mittagszeit hinaus, die Sonne stand hoch und brannte uns erbarmungslos in den Rücken. Dann erst ließ Salvador absteigen. Die Pferde brauchten eine Pause, so wie wir. Wir befanden uns auf einem Hochplateau und waren, soweit ich das sah, für jedermann weithin sichtbar. Ich runzelte die Stirn und wollte gerade etwas darüber sagen, als ich sah, dass er in einer Art Eingang verschwand. Lisette folgte ihm schwankend. Das arme Ding war vollkommen erschöpft. Ich auch. Es ist ein großer Unterschied, ob man mehrere Stunden hintereinander auf einer Straße reitet, oder ob man für Stunden im wechselnden Tempo quer durch den Wald und die Bergwelt flieht. Bis auf kurze Pausen, an denen wir die Pferde an den Bächen hatten saufen lassen, hatten wir nicht gerastet. Es waren gute Pferde, die Salvador uns gebracht hatte. Ich streichelte dankbar über den Hals meines Tieres, das müde neben mir in die Höhle trottete. Salvador kam mir entgegen. Im Vorübergehen strich er mir über die unversehrte Wange, dann machte er sich daran, den Eingang der Höhle wieder so zu verschließen, wie wir sie vorgefunden hatten. Lisette mühte sich mit ihrem Sattelzeug ab. Salvador trat zu ihr und half erst ihr, dann mir.
Als die Pferde versorgt waren – er hatte Hafer für sie in einem Beutel, der an der Decke hing, und Wasser, das in Kübeln bereitstand – setzten wir uns in eine Ecke, die mit frischem Stroh ausgelegt war. Salvador nahm einen Sack vom Haken an der Felswand und verteilte Brot und Früchte an uns. Ich ließ es mir nicht nehmen, ein lautes Dankgebet auszusprechen. Wenn nicht am heutigen Tag, wann sollte man Gott dann für seine Gnade danken?
Ich wollte Salvador so viel fragen, ihm so viel sagen und ihm danken, doch ich kam nicht dazu. Bis auf ein paar belanglose Worte kamen wir nicht zum Reden. Die Müdigkeit übermannte mich und ich schlief ein.
Salvador weckte mich. Es war dunkel, nur ein kleines Feuerchen brannte. Lisette schlief noch. Er nahm mich in die Arme und küsste mich. Ich zuckte zurück, aber nicht, weil es mir nicht recht gewesen wäre. Mein ganzes Herz flog ihm zu, nur mein Gesicht peinigte mich schlimmer als am Tage zuvor.
»Habe ich dir wehgetan?« Salvador sah mich besorgt an. Dann hielt er mich eine Armeslänge von sich und betrachtete mein Antlitz zärtlich. »Du siehst entsetzlich aus.«
»Danke.« Ich wand mich aus seinem Griff.
»So meine ich das doch nicht. Ich meine, dein Gesicht …«
»… sieht entsetzlich aus und du bereust, mich gerettet zu haben.«
»Das werde ich nie bereuen. Du bist und bleibst für mich die schönste Frau der Welt. Ich würde dich jederzeit wieder retten. Das Gesicht verheilt. Ich bereue nur, dass ich nichts mit mir führe, womit wir deine Schmerzen lindern können.«
Ich erinnerte mich an die Salbe,
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