Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
die uns die Herbergswirtin geschenkt hatte, und zog sie aus meinem Beutel. Auch wenn sie für den entgegengesetzten Körperteil gedacht war, konnte sie nicht schaden. Salvador ließ es sich nicht nehmen, die Salbe auftragen. Ich kann nicht sagen, was wohltuender war: die schmerzstillende Salbe oder die liebevollen, sanften Berührungen, die ich von Salvador erfuhr. Es war wie in meinen Träumen. Gerade war ich noch im Gefolge des Grafen unterwegs, und jetzt hielt ich die Hand des Mannes, den ich von ganzem Herzen liebte.
Lisette erwachte oder gab wenigstens zu erkennen, dass sie es tat. Vielleicht war sie schon länger munter gewesen und hatte uns beobachtet.
»So ist das also«, zischte sie. Wir fuhren überrascht herum. »So steht es zwischen euch.« Wir lächelten sie beglückt an, denn wir waren sicher, dass sie unsere Liebe gutheißen würde. Umso überraschter waren wir, als sie aufsprang und uns anschrie.
»Ihr habt es die ganze Zeit über gewusst. Ihr habt das geplant. Mich habt ihr im Unklaren gelassen.« Ich wollte etwas erwidern, doch sie wischte meine gestammelten Worte mit einer Handbewegung weg. »Mich lasst ihr im Unklaren. Ist ja auch klar: Die Kleine würde sich verplappern, sie würde uns verraten. Glaubt ihr wirklich, dass ich noch so dumm bin, einen Plan, der zu meiner Errettung ist, zu verraten? Nein, mir sagt man nichts, lässt mich weiter in dem Glauben, dass ich mit dem alten Scheusal verheiratet werde. Dass ich mit ihm die Kemenate teilen muss und ihm Kinder schenken werde, die seine Enkel sein könnten. Was sage ich, Enkel, seine Urenkel.« Lisette hatte zuletzt vor Zorn geschrien.
So hatte ich sie noch nie erlebt. Ich war fassungslos. Meine kleine, sanfte Lisette hatte sich in eine Furie verwandelt. Wir sprachen abwechselnd auf sie ein, wir entschuldigten uns, wir erklärten ihr unseren Standpunkt. Es hatte keinen Sinn. Lisette sprach nach ihrem Ausbruch kein Wort mehr mit uns. In ihren Augen standen Verachtung und Zorn. So hatte ich mir die Errettung meiner kleinen Schwester nicht vorgestellt. Salvador und ich berührten uns nicht mehr, als ob wir uns nicht mehr trauten, unser Glück zu zeigen. Durch die Entrüstung, die uns Lisette entgegenbrachte, war es ohnehin merklich gedämpft.
Wie sehr sehnte ich mich nach seinen Armen, nach seinen Händen, aber der brennende Blick, den Lisette uns schickte, ließ es nicht zu, das Glück auszukosten.
Schweigend ritten wir weiter, als sich der Abend senkte. Salvador hatte ein bestimmtes Ziel vor Augen.
»Wir müssen das restliche Licht ausnutzen. Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, haben wir vor Einbruch der Dunkelheit ein kleines Bergdorf erreicht. Es heißt Pueblo Suerte. Von dort aus gibt es einen unbefestigten Weg. Wir werden unsere Pferde führen müssen.« Das war sein Plan. »Lasst uns beten, dass der Graf keine Bluthunde aufgetrieben hat.«
Vier Tage waren wir im Gebirge unterwegs. Vier Tage, in denen Salvador bewies, dass er nicht gelogen hatte, als er sagte, er kenne jeden Stein. Er hatte alles vorbereitet. Er hatte die Etappen gut berechnet. Nachts, wenn es zu dunkel wurde, um weiter durch das Gebirge zu gelangen, fanden wir Lager vor, in die bereits alles Nötige gebracht worden war. Der Anstieg über den Pass, über den er uns führte, war anstrengend. Wir trafen auf keine Menschenseele. Die Bergwelt war wunderschön, aber grausam. Wer sich hier nicht auskannte, war verloren. Schweigend zog unsere kleine Gruppe dahin. Keine fröhliche Kinderstimme war zu vernehmen, so wie ich es mir ausgemalt hatte, und das schmerzte mich besonders. Lisette Blick lag, auch nach drei Tagen, vorwurfsvoll auf uns.
Salvador und ich waren durch ihr Verhalten befangen. Wir konnten nicht einmal frei reden. Dabei hätte ich mich so gern mit ihm unterhalten. So blieben wir still und kämpften uns weiter. Was ich nicht für möglich gehalten hätte, als ich mich den Berg hinaufkämpfte: Der Abstieg war, wenn möglich, noch anstrengender. Ich, die noch nie im Gebirge gewesen war, hatte mir den Abstieg als etwas Einfaches, weniger Anstrengendes vorgestellt. Ich wurde eines Besseren belehrt. Vollkommen abgekämpft kamen wir am fünften Tag in den Ausläufern des Randgebirges an. Die Berge hatten wir nun im Rücken. Wir befanden uns nordöstlich von Tudela und konnten uns wieder auf unsere Pferde setzen. Ich dankte Gott! Meine Füße schmerzten, die Sohlen meiner Schuhe waren von den spitzen Steinen teilweise durchlöchert und zerrissen.
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