Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Überhaupt boten Lisette und ich nicht das Bild, das man von jungen Mädchen unseres Standes erwartet hätte.
Wir ritten zurück in die Gegend von Navarra, aus der Salvador stammte. Wir waren dem Grafen, wenn mich mein Orientierungssinn nicht im Stich ließ, sozusagen in den Rücken geritten. So hofften wir jedenfalls. Wir hielten uns abseits der Wege und hatten Glück, denn der Himmel blieb durchgehend klar und der Mond schien inzwischen voll und beleuchtete die Landschaft. Aber der Mond schien auch für unsere Verfolger, das war uns klar. Wir hatten noch immer keine Zeit zu vergeuden. Den Pferden ließen wir kaum Zeit, zu rasten. Mein Gewissen regte sich, wenn ich mein Reittier betrachtete. War es, als ich das erste Mal aufgesessen hatte, ein kleines, drahtiges, rundes Gebirgspony gewesen, das sich munter unter mir bewegte, waren seine Bewegungen nun müde und es war deutlich abgemagert. Wir drei Reiter allerdings auch. Eines Morgens – ich versuchte gerade meine langen, widerspenstigen Haare zu ordnen – betrachtete mich Salvador aufmerksam. Ich sah, dass ihm der Schalk in den Augen aufblitze. Lisette, die versuchte, sich den Schmutz vom Kleid zu klopfen, ignorierte uns wie immer.
»Heute werden wir in einer Herberge nächtigen«, beschloss er. Ich sah ihn fragend an. »Ist das nicht viel zu gefährlich?« Ich machte mir noch immer Sorgen, dass der Graf uns aufgriff.
»Ich denke, es ist viel gefährlicher, wenn ich mit zwei Damen, deren Schönheit ich besungen habe, bei meinem Vater auftauche und sie sehen aus wie wilde Eichhörnchen.«
Ich ließ den Kamm, der sich kaum durch meine Haare bewegen ließ, sinken.
»Mein Vater müsste meinen, dass ich zwar die Stimme einer Nachtigall besäße, aber die Blindheit eines Maulwurfs.«
»Wir sehen wie aus?« Ich drohte Salvador spielerisch mit meinem Kamm.
»Wie zwei wild gewordene Eichhörnchen, die bei Sturm aus ihrem Nest gefallen sind. Direkt in den Kuhdung«, sagte er frech. Ich warf ihm lachend meinen Kamm an den Kopf, worauf er gespielt umfiel.
In diesem Moment stimmte Lisette in mein Lachen ein. Sie steigerte sich in einen Lachanfall, sodass ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. Hatten wir sie noch den ersten Augenblick erstaunt angesehen, fielen wir bald in diese Freudentränen ein. Lisette und ich nahmen uns in die Arme. Sie hatte uns verziehen. Sie lachte noch hin und wieder, während wir schon lange unterwegs waren. Ich dankte Gott. Wir hatten unsere kleine Lisette wieder. Erst jetzt machte mir unsere Rettung wirkliche Freude und ich genoss das Zusammensein mit Salvador. Ohne schlechtes Gewissen.
Wir waren aufgeräumter Stimmung, als wir die Herberge erreichten, von der Salvador gesprochen hatte. Die Wirtsleute betrachteten uns neugierig, als wir in unserem abgerissenen Zustand in die Gaststube traten. Salvador unterhielt sich mit ihnen. Ich verstand kein Wort, ich erkannte lediglich an ihren Mienen, dass sie zu begreifen schienen. Damit hatten sie mir viel voraus. Ich sprach kein Spanisch und der Gedanke, dass ich die Sprache meines Liebsten nicht beherrschte, machte mich unsicher. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, drehte sich Salvador zu mir. »Du wirst es schnell lernen. Spanisch ist vielleicht nicht so elegant wie Französisch, aber einfach in der Grammatik. Ich habe uns Essen bestellt und heißes Wasser. Und für euch beide frische Kleidung. Die Wirtsleute haben zwei Töchter, die ungefähr in eurem Alter sind. Sie wollen euch ihre Sonntagskleider überlassen, wenn es euch recht ist.«
Mir war alles recht. Bald schon standen heißer Gewürzwein und warmes, weiches Brot auf dem Tisch. Wie gut das schmeckte! Ich brauchte das Fleisch, das kurz danach serviert wurde, kaum noch. Für mich war in diesem Augenblick das Brot mit dem Wein die göttlichste Speise, die es auf Erden gab. Nach den Tagen und Nächten unterwegs, dem harten Brot und trockenen Früchten, gab es nichts Besseres. Wie oft sollte ich noch an dieses Brot und diesen Wein denken!
Wir waren ausgelassener Stimmung. Lisette sprach wieder mit uns, ihr Stimmchen rauschte an mir vorbei wie ein munterer Wasserfall und der Gewürzwein stieg mir bald zu Kopf.
Oben auf unserem Zimmer, das Lisette und ich gemeinsam beziehen sollten, war alles vorbereitet. Heißes Wasser und große Waschschüsseln erwarteten uns und ebenfalls die zwei versprochenen Kleider. Ein Genuss, sich nach tagelanger Reise den Staub abzuwaschen! Danach machte ich mich daran, Lisette das Haar zu kämmen.
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