Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
bewaffnete Reiter. Vater stand schwankend auf, um sie zu begrüßen.«
»Salvadors Vater?«
Lisette nickte. »Zuerst verstand ich kein Wort, weil er spanisch sprach. Dann wechselte er ins Französische. Er wollte wissen, wo Salvador und die beiden Mädchen wären. Vater brauste auf, verwünschte ihn und schrie, dass es seine Sache wäre, was er mit seinen Töchtern und einem nichtsnutzigen Barden machte. De Segura, der bisher ruhig geblieben war, gab sich als Salvadors Vater zu erkennen. Wäre unser Vater nüchtern gewesen, hätte er erkannt, welchen folgenschweren Fehler er beging. Er lachte und höhnte, er müsse dem Vater eines Barden nicht Rede und Antwort stehen.«
»Was geschah dann?«
»De Seguras Männer traten auf diese Beleidigung hin einen Schritt vor. Vater zog, obwohl er kaum noch stehen konnte, sein Schwert und griff an. Salvadors Vater musste sich wehren. Die Männer um Vater herum taten es ihm gleich. Sie ließen sich nicht zur Vernunft bringen. Sie kämpften. Sie glaubten sich in der Überzahl. Ich blieb im Schatten und versteckte mich.« Lisette kamen die Tränen, doch sie blinzelte sie weg. »Salvadors Vater fand mich schließlich und forderte mich auf, ihm zu zeigen, wo man euch zurückgelassen hatte. Es tut mir leid, dass ich mich nicht erinnern konnte. Also fragten wir uns durch Dörfer, wir sahen in jeden Brunnen, wir fragten jeden Bauern, ob er von einem ausgetrockneten Brunnen wusste. Den Rest kennst du ja.« Lisette ließ die Schultern hängen.
»Wie lange habt ihr nach uns gesucht?«
Ich sah, wie Lisette zusammenzuckte und den Kopf senkte.
»Wie lange?« Ich musste es wissen.
»Ungefähr zwei Wochen.« Lisette wagte nicht, aufzusehen.
»Zwei Wochen!« Erneut sprang ich aus dem Bett und lief im Zimmer auf und ab. Kein Mensch überlebte zwei Wochen ohne Flüssigkeit. Ich rechnete. »Wie lange bin ich schon hier?«
»Fast eine Woche. Es ist ein Wunder, dass du überlebt hast.«
Oh, du mildtätige Lügnerin . Ich betrachtete Lisette von der Seite. Sie blinzelte ebenso verstohlen zu mir. Ich erkannte, dass sie sich eine gewisse Scheu mir gegenüber zugelegt hatte. Das konnte ich ihr nicht verübeln. Ich musste ein schreckliches Bild abgeben. Zwei Wochen im Brunnen und fast zehn Tage hier im Kloster. Und das Ganze ohne einen Bissen. Ich musste abgemagert und hohläugig sein.
»Alles wird gut«, sagte ich und tätschelte ihre Hand. Dann schwiegen wir beide. Bilder von Louis kamen mir in den Sinn. Wie er als Baby gewesen war, als kleines Kind. Ich hatte ihm längst verziehen. Ich hatte ihn geliebt. Für den Grafen hatte ich keine Träne. Ihn hatte ich gehasst. Lisette unterbrach meine düsteren Gedanken.
»Werden wir mit Salvadors Vater mitgehen?«
Ich wusste es nicht.
»Es wäre doch das Beste. Er ist ein netter Mann.«
War er das? Was sollte aus dem Weingut des Grafen werden? Ich schloss die Augen. Es gab zu viele offene Fragen. Ich fühlte mich überfordert und müde. Beinahe wünschte ich mir, ich wäre zusammen mit Salvador gestorben. Ich vermisste ihn und mir fielen tausend Dinge ein, die ich ihm noch gern gesagt hätte. Worte, die unausgesprochen bleiben würden.
Ich hatte nicht bemerkt, dass Lisette gegangen war, doch als ich die Augen öffnete, erblickte ich Schwester Theresa. Sie reichte mir ihre kühle, feste Hand. »Nun, wie geht es dir, Kind?«
»Schrecklich.« Es entsprach nicht meinem körperlichen Empfinden, sondern meinem seelischen.
»Ich habe mich in unserer Bibliothek kundig gemacht. Ich hoffte, dort etwas zu finden, was deinen Zustand erklärt.«
»Und?« Ich sah in ihr müdes Gesicht und begriff, dass sie um Worte rang. Ich wollte Klarheit. »Steht es schlimm um mich? Muss ich sterben?« Ich hatte keine Angst vor der Antwort.
»Es ist viel schlimmer.« Schwester Theresa drehte sich um und ordnete irgendetwas am Tisch.
»Du bist bereits tot.«
*
»Aber das ist doch nicht möglich!« Pater Comitti warf das Manuskript mit einer wütenden Bewegung auf den Tisch. Der Knall, den der Papierstapel machte, klang in der Stille nach. Arconoskij lächelte sein gleichbleibend feines Lächeln.
»Was sagen Sie dazu, Arconoskij? Ich hielt die Oberin für eine vernünftige Frau. Und jetzt das.« Comitti war aufgestanden, um das Fenster zu schließen. Es war ihm zwar nicht zu kalt geworden, auch störte ihn kein Lärm der Straße. Er hatte das Bedürfnis, sich zu bewegen.
»Wenn ich das Gesamte analytisch beurteilen soll, Comitti, dann muss die Oberin recht
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