Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Schriftzeichen, die an den Mauern angebracht waren, nichts anfangen. Zuletzt entdeckte ich ein kleines katholisches Kloster, das mich durch seine Einfachheit tröstete. Ich war von dem Völkergemisch, den Farben, den Düften und dem Lärm, der in der Nacht herrschte, fasziniert. Aber trotzdem hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Argyle versuchte mir meine Beklemmungen, die ich ihm gegenüber zugab, auszureden. Ich wollte glauben, dass es nur an der anderen Kultur lag, aber ich sah die kleinen Dinge des Alltags, die mich irritierten. Wie die Frauen Kleidung fertigten oder Essen zubereiteten, war so gänzlich anders, als ich es von daheim gewohnt war. Meistens wanderten wir zu dritt durch die Straßen und wurden in Ruhe gelassen. Man nahm an, dass mein Vater und sein Freund auf Studienreisen waren und ich sie begleitete. Wir stammten aus Europa, aber das war in dieser Stadt nichts Besonderes, da sich viele Gelehrte aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt hier versammelten. Allein, dass wir nur in der Nacht erschienen, machte unsere Umgebung misstrauisch.
Wir schoben es auf unsere helle Haut und man ließ uns in Frieden. Die Speisen, die unser Hauspersonal zubereitete, verteilten wir vor den Häusern der Armen. Wir beteten und genossen die Ruhe. Schnell gewöhnte ich mich an Alexandria und die Fremdartigkeit. Meine anfängliche Irritation nahm ab und ich hörte auf, Argyle auf Kleinigkeiten hinzuweisen, die mir komisch vorkamen. Er und Laurentius schlossen sich der Katechetenschule von Alexandria an und luden noch am selben Abend einen Gast ein, um ihre Diskussion fortzuführen. Wir genossen das Gefühl, endlich angekommen zu sein; ein halbwegs normales Leben zu führen. An diesem Abend wurden wir eines Besseren belehrt.
Argyle und Laurentius debattierten die ganze Nacht mit Davius und ich, die Hausdame, schenkte den Männern ein. Durch diesen einfachen Trick fiel es niemanden auf, dass Argyle und Laurentius nichts tranken. Es war schon sehr spät und Davius war nicht mehr ganz nüchtern, als Argyle eine Behauptung machte, die uns allen die Augen öffnete. Das Gespräch war auf die Kolonisation der Länder gekommen. Davius meinte das Römische Reich, das sich unaufhaltsam ausbreitete und bereits Ägypten erreicht hatte. Argyle meinte die Kolonisation Amerikas. Man kann sich die Verwirrung auf beiden Seiten vorstellen. Bevor sich Argyle noch zu einer weiteren Aussage hinreißen ließ, täuschte ich eine Ohnmacht vor und lenkte damit von diesem prekären Gespräch ab. Nachdem wir Davius schnellstmöglich verabschiedet hatten, setzten wir uns und schwiegen. Argyle hatte ihn vorher gefragt, welches Jahr wir schrieben.
Es war das Jahr 249 n. Chr.
»Das kann nicht sein! Wir sind im Jahre 1599 an Bord gegangen!«, brauste Argyle auf.
Ich konnte es mir nicht erklären. Auch Laurentius schien keinerlei Meinung zu haben. Ich hatte Angst. Welche Teufelei steckte hinter dieser Begebenheit? War das Gottes Plan oder der des Teufels? Wie war so etwas möglich? Was hatte das zu bedeuten? Ich hatte noch nie gehört oder gelesen, dass jemand die Zeit gewechselt hätte. Lange saßen wir schweigend da.
Laurentius war schließlich derjenige, der das Wort ergriff.
»Ich weiß zwar nicht, wie das geschehen konnte, aber zwei Dinge sind klar.«
Argyle und ich sahen ihn fragend an. Laurentius Gelassenheit und Ruhe verwunderten mich und machten meinen Vater wütend.
»Und welche wären das?«, schnauzte Argyle.
»Ich verstehe, dass du Angst hast, Argyle, aber das ist kein Grund, mir zu zürnen. Du brauchst keine Angst haben. Das alles ist Gottes Werk. Dadurch, dass er uns in ein anderes Zeitalter geführt hat, rettet er die Menschheit.« Laurentius ließ uns einen kurzen Augenblick, darüber nachzudenken. »Damit zeigt uns Gott, dass er uns liebt.« Laurentius schloss die Augen und ich konnte seine Verzückung mehr fühlen, als sehen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er uns eindringlich an. »Allerdings ist mit dieser Rettung, mit diesem göttlichen Wunder, eine große Last auf uns geladen worden.«
»Die da wäre?« Argyle war aufgestanden und nahm seine gewohnte Wanderung durch den Raum auf. Ich folgte ihm mit Blicken und wurde immer nervöser. Ich verstand nicht, was Laurentius mit Gottes Werk und Rettung meinte.
»Dadurch, dass uns Gottes Gnade zuteilwurde, hat er uns die Bürde der Verschwiegenheit aufgelastet. Ich meine damit nicht die Verschwiegenheit, derer wir uns jetzt bereits
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