Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Gelegenheit nicht nehmen lassen.« Laurentius malte uns unsere Zukunft aus.
Ich blickte zu Argyle. Ich sah die gleiche Angst in seinen Augen aufsteigen, die ich verspürte. Allein Laurentius blieb gefasst. »Wir werden uns diesem Dekret widersetzen«, stellte er ruhig fest. »Wir werden, wenn es sein muss, für unseren Glauben sterben. Mit unserem Tod werden wir Gott dienen. Die Menschen werden verstehen, dass es der einzig wahre Glaube ist, wenn wir sogar bereit sind, für ihn zu sterben.«
Wir waren nicht die Einzigen, die für ihren Glauben kämpfen wollten. Auch die Mystiker des Isis- und Osiris-Kults fanden sich bei der Versammlung auf dem Hauptplatz ein, um gegen den Erlass zu demonstrieren. Ich sah Davius, der mit einigen Mitgliedern der Katechetenschule erschienen war und uns grüßte. Die Menge war erzürnt und aufgeregt. Rufe wurden laut. Steine wurden geworfen, die Christen beschimpft. Schon in den Nächten zuvor war es zu Ausschreitungen gekommen und mancher Christ war unter dem Steinhagel seiner Nachbarn gestorben. Ordnungskräfte trafen ein. Es kam zu einer Glaubensschlacht, in die wir uns nicht einmischten. Meine Familie blieb am Rand des Geschehens und wartete ab, was passieren würde. Davius stand in unserer Nähe und wirkte entschlossen.
»Wir werden uns nicht von diesen Römern vorschreiben lassen, an wen wir glauben«, rief er uns zu.
Die römischen Soldaten griffen durch. Die Revoltierenden waren nicht bewaffnet und so war es ein leichtes Spiel für sie. Wir wurden auf dem Marktplatz zusammengetrieben, festgenommen und in unterirdische Verliese gesperrt. Laurentius, Argyle und ich hielten uns in der Nähe der Christen auf. Davius stand in unserer Nähe und redete beruhigend auf seine Schüler ein. Der Vorsteher des Klosters betete laut mit seiner Gemeinde. Wir Vampyre unterhielten uns in unserem dunklen Raum.
»Meint ihr wirklich, es ist der richtige Weg, wenn wir alle für unseren Glauben sterben? Wenn niemand mehr von uns übrig ist, wer soll dann die Lehren Christi verbreiten?«, sagte Argyle. Ich gab ihm recht. Wer sollte die Arbeit fortsetzen, wenn wir alle ausgelöscht würden?
»Man wird es erfahren.« Laurentius war sich sicher. »Sie werden andere Christen nach Alexandria schicken, um unsere Arbeit zu vollenden. Es wird Menschen geben, die jetzt noch wankelmütig in ihrem Glauben sind und auf unseren Tod mit Überzeugung reagieren werden. Der Überzeugung, dass wir das Richtige getan haben.« Laurentius Augen leuchteten. Ich hatte ihn noch nie so fanatisch gesehen. Mir war immer schon klar gewesen, dass er ein gläubiger Christ war, aber dieser unbedingte Glauben, den er jetzt ausstrahlte, war mir neu.
Argyle war nicht so überzeugt. Er hing an seinem Leben, genau wie ich. Man könnte meinen, dass es einem Vampyr egal wäre, wenn er stürbe, da er bereits tot war, aber dem war nicht so. Jedes Lebewesen, wenn es vor die Wahl gestellt wird, beginnt, um sein Leben zu kämpfen, so war es auch bei uns. Laurentius sah uns die Zweifel an.
»Wenn ihr schon nicht für euren Glauben sterben wollt, dann tut es für die Menschheit. Wenn es euch nicht mehr gibt, dann wird Miguel nie die Weltherrschaft an sich reißen können. Als Vampyre sind wir dazu verdammt, auf immer in dieser Welt zu wandeln. Der Freitod ist uns als Christen verboten, warum dann nicht für Gott und die Menschheit sterben? Die Folter habt ihr schließlich nicht zu fürchten«, sagte er sarkastisch.
Argyle und ich sahen uns an. Er hatte recht, aber wir hingen an unserem Leben. Soldaten brachten immer wieder neue Gefangene, andere wurden entlassen, da sie den Druck der Gefangenschaft nicht aushielten und ihrem Glauben abschworen.
Die Pater hatten die Gläubigen um sich versammelt, wir schlossen uns ihnen an. Argyle und ich waren uns einig geworden, Laurentius’ Worten zu folgen. Es war das Beste, wenn wir von dieser Welt verschwänden. Wir beteten inbrünstig, um uns und den anderen Gläubigen Mut zu machen. Ich merkte, wie ich ruhiger wurde, wie die Überzeugung, dass ich das Richtige tat, in mir wuchs.
Im hinteren Teil des Verlieses hatten sich die Isis– und Osiris-Mystiker versammelt. Auch sie beteten ihre Verse, die eine monotone und beruhigende Melodie hatten. Da mich die zwischenmenschlichen Dramen vom Gebet ablenkten, bemerkte ich, dass sich eine Gruppe von Osiris-Mystikern zu uns gedreht hatte und über uns sprach.
»Sie besitzen die Unsterblichkeit«, sagte ein dunkler Mann. »Sie gehören bereits dem
Weitere Kostenlose Bücher