Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Wir würden uns nie mehr auf eine politische oder wissenschaftliche Diskussion einlassen. Wir würden uns nur noch miteinander unterhalten. Ich sah an der Miene meines Vaters, dass er unter dieser Einschränkung litt. Ich ergriff seine Hand.
Waren wir zuvor Sonderlinge in Alexandria gewesen, so zogen wir uns nun endgültig zurück und wurden Außenseiter. Wir besuchten keine weiteren Vorlesungen im Museion oder in der Katechetenschule, wir sprachen mit keinem Gelehrten. Dafür bekamen wir neue Freunde. Die Ordensbrüder des kleinen Klosters freuten sich über drei neue Mitglieder. Die christliche Gemeinschaft war erschreckend schwach. Wir, deren Heimat zum größten Teil katholisch war, waren erstaunt, wie viele verschiedene Religionen es gab. Die alten ägyptischen Kulte nahmen den größten Teil ein. Neben den unzähligen kleineren und verwirrend klingenden Göttern waren die Anhänger der Gottheiten Isis und Osiris eine der stärksten Gruppierungen. Die Römer wiederum, die in dieses Land eindrangen, brachten ihre Götter mit. Es herrschte ein buntes Nebeneinander der verschiedensten Glaubensrichtungen. Die christliche Kirche war jung und der christliche Glaube musste kämpfen und überzeugen, um zu überleben. Ich hatte mich mittlerweile mit Gott ausgesöhnt und nahm den Kampf auf. Wir verteilten Almosen an die Bedürftigen, wir halfen den Armen, wo wir konnten. Laurentius liebte es, der Kirche zu dienen, und hier konnte er sich und seinen Glauben beweisen.
Argyle wanderte zwischen den Gelehrten der Bibliothek, der Katechetenschule, die er zwischenzeitlich wieder aufsuchte, und den Ordensbrüdern des Klosters hin und her. Er selbst hielt sich bedeckt, wie er uns versprach, er hörte nur zu und erfreute sich an den fortschrittlichen Gedanken. Am meisten angetan hatte es ihn ein Gelehrter Namens Heron, der Mathematik lehrte und neue optische und mechanische Erfindungen machte. Er konnte dessen Vorlesungen, die im Museion von Alexandria stattfanden, nicht widerstehen. Zu sehr faszinierten ihn die Maschinen, die Heron mittels Wasser, Luft und Hitze in Bewegung setzte. In Begeisterung versetzte ihn ein automatisches Theater, das nur mittels Hydraulik funktionierte. Wenn er uns davon berichtete, waren die Ordensbrüder entsetzt. Sie weigerten sich, die neuen Erkenntnisse zu glauben, da sie von der Kirche nicht anerkannt wurden. Wir durften ihnen nicht erklären, dass die heilige Kirche schließlich die Richtigkeit dieser Aussagen würde zugeben müssen.
Eines Abends, Argyle und ich saßen gerade in angeregter Unterhaltung mit dem Vorsteher des Klosters, bereitete Laurentius unserer gemütlichen Runde ein Ende.
»Kaiser Decius, der neue Statthalter, hat das Dekret erlassen, dass wir den römischen Göttern opfern sollen!« Ich sah, dass er vor Empörung zitterte.
»Was soll das heißen?«, fuhr der Abt auf. »Wir sollen den Göttern Roms opfern? Wir sind Christen.«
»Eben.« Laurentius ließ sich auf eine Liege fallen. »Kein Christ wird den römischen Göttern opfern. Das widerspricht dem ersten Gebot.«
»Du sollst keine Götter neben mir haben«, murmelte Argyle.
»Aber was will Decius damit bezwecken? Soweit ich gehört habe, ist er ein besonnener Kaiser. Er hat sich noch nie in die religiösen Angelegenheiten seiner Völker eingemischt. Woher kommt dieser Sinneswandel?«
Laurentius ordnete die Falten seines Gewandes, bevor er sprach. »Soweit ich es mitbekommen habe, beugt er sich dem Druck seiner römischen Mitbürger. Sie verlangen von ihm ein einheitliches Bild des Römischen Reiches. Dazu gehört auch eine gemeinsame Religion.«
»Jetzt müssen wir alle an die römischen Götter glauben?« Ich konnte es nicht fassen. »Ich werde nicht daran glauben, auch wenn mir der Gott Apollon meinen Namen gegeben hat.«
Argyle grinste. »Deine Großmutter war von den Göttern begeistert. Ich glaube auch nicht an sie und werde mich weigern, ihnen zu opfern.«
Der Vorsteher des Klosters räusperte sich vernehmlich. »Ich danke Gott für eure Anwesenheit. Durch euer Vorbild werden sich die anderen gestärkt sehen und ebenso weigern, den römischen Göttern zu opfern. Mit euch als Zugpferden werden wir den Römern die Stirn bieten. Lieber sterbe ich für meinen Glauben, als dass ich diesem heidnischen Götzen ein Räucherwerk zu Füßen lege.«
»Sterben?« Argyle war aufmerksam geworden.
»Was glaubst du denn, was sie mit uns machen, wenn wir uns weigern? Sie werden uns hinrichten. Sie werden sich die
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