Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
wäre für meinen Glauben gestorben«, sagte ich.
»Was glaubst du, wie es mir ergeht?« Argyle hatte geflüstert, sein Flüstern klang wie ein Schluchzen. Wir nahmen uns in die Arme und blieben so, bis uns der Schlaf übermannte. Wir würden nach Europa zurückkehren. Es gab nichts und niemanden, der uns helfen konnte. Meine letzte Hoffnung war, dass wir nicht in die richtige Zeit fänden.
Es war eine Reise durch die Dunkelheit. Eine surrealistische Geburt durch die Zeit. Khemais hatte uns gezwungen, sein Blut zu trinken, dann war nichts. Es ist schwierig zu beschreiben, was ich damals erlebte, aber ich möchte es versuchen. Ich erinnere mich an Stampfen und Schreie, an den widerlichen Geschmack in meinem Mund. Lichtblitze durchfuhren mein Bewusstsein. Ich spürte es, wenn diese kurzen Erhellungen meinen Geist trafen, ein Zerren an jeder Faser meines Körpers. Dann wieder wurde der Geschmack in meinem Mund intensiver und ich fiel erneut in die Dunkelheit. Hin und wieder nahm mein Geist Wörter auf, versuchte, sie zu verarbeiten, und glitt erneut in das Wirbeln, das meinen gesamten Körper erfasst hatte. Ich spürte die Anwesenheit einer Macht, einer dunklen Macht, die mich gefangen hielt. Wenn die Lichtblitze häufiger kamen und meine Wahrnehmung wuchs, versuchte ich, mich zu orientieren. Zunächst war da nur Dunkelheit. Stöhnen und Ächzen. Dann bemerkte ich, dass ich die Hand meines Vaters hielt. Ich wurde mir meiner Körperlichkeit im immer schnelleren Rhythmus bewusst und bekam Angst. Ich betete. Wie jeder Christ betete ich um mein Leben und Argyle stimmte ein. Die Lichtblitze kamen häufiger. Mein Geist bekam die Möglichkeit, sich zu orientieren. Ich lag neben Argyle und blickte in Khemais’ Gesicht. Sein Anblick hatte nichts mehr mit einem Sterblichen gemein. Es war nicht nur sein Aussehen, das mich erschreckte, es war die Aura, die ihn umgab – die uns umgab. Strahlen und Blitze schossen aus und um seinen Körper, der noch ausgemergelter und älter war, als ich ihn kennengelernt hatte. Er zuckte unter jedem dieser Blitze zusammen. Das Stöhnen und Schreien, das ich in meinem Unterbewusstsein gehört hatte, stammte von ihm. Die Lichtblitze bündelten sich über unseren Köpfen und ließen uns in einem Wirbel drehen. Erst beim genaueren Hinsehen erkannte ich die Umgebung. Schemen von Menschen und von Gebäuden wirbelten um uns. Unverdrossen betete Argyle weiter. Er hielt die Augen geschlossen, seine Hand krampfte sich schmerzhaft um meine. Wir beteten ohne Unterlass.
Natürlich waren meine Beobachtungen nicht so nüchtern, wie ich sie heute niederschreibe, aber mir wurden trotz der Angst zwei Dinge klar, als hätten sie mir Engel zugeflüstert: Wir waren am Ende unserer Reise und Khemais war kraftlos. Ich erkannte mit einem Mal, dass unsere einzige Chance gekommen war.
»Sondern erlöse uns von dem Bösen«, sprach Argyle gerade , als ich ihm ins Wort fiel.
»O Herr«, stimmte ich an. »Ich will mich gegen Babel erheben. Selig sind die, die begreifen, dass du in deiner Güte einen Weg kennst. Sie haben dem Herrn die Treue geschworen. Werden sie auch getrennt – durch seine Güte und Liebe, werden sie sich wiederfinden. Die Engel des Ostens werden über dich wachen, auch wenn ich im Westen bin.«
»Amen.« Ich hörte Argyles Stimme. Ich drückte seine Hand, dann ließ ich sie los und gab ihm einen Stoß.
»Der Herr sei mit dir«, rief ich ihm nach und trat rückwärts in die Dunkelheit.
»Und mit deinem Geiste.« Dann hörte ich nichts mehr von ihm.
Das Letzte, was ich hörte, war Khemais’ Schreie. Schreie, die mich ohnmächtig werden ließen.
Als ich wieder zu mir kam, war es dunkel und ich war nass. Ich schmeckte Salz und erkannte, dass ich mich auf dem Grund eines Meeres befand. Panik überkam mich. Woran sollte ich mich orientieren? Ich hoffte, dass ich die richtige Richtung einschlug, und marschierte los. Irgendwann überkam mich die Müdigkeit und ich schlief ein. In einem Traum fragte ich Laurentius, wo ich Argyle wiederfände. Ich sah ihn lächeln, dann wurde ich wach. Der Gedanke verließ mich nicht. Wo sollte ich ihn wiedertreffen? Ich ging weiter, immer in der Hoffnung, dass ich nicht im Kreis lief. Mein Gesicht brannte. Ich betastete es und stellte fest, dass sich Blasen gebildet hatten. Es war verbrannt. Dann war ich doch im Feuer gewesen? Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Mir wurde bewusst, dass Khemais mich aus dem Feuer gezogen und mir sein Blut zu trinken
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