Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
gegeben hatte. Dieses hatte mich, genau wie Argyle, kurzfristig von den Folgen der Verbrennungen befreit. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie es Argyle erging, sobald bei ihm die Wirkung des Blutes nachließ. Ich wünschte ihm die Kraft, seine Schmerzen zu ertragen.
Irgendwann ließ der Wasserwiderstand nach und ich kam an einen Strand. Ich verließ das Wasser und tauchte in ein Meer von Problemen.
Wo war ich? In Spanien? Wo war Argyle? Lebte er noch? Welches Jahr schrieben wir? Gab es mich schon?
So eingeschüchtert grub mich in dem weichen Sand ein und hätte ewig liegen bleiben mögen, den ewigen Schlaf der Vampyre schlafen, doch etwas ließ mich aufwachen. Wieder hatte ich geträumt. Ich konnte mich nicht im Einzelnen entsinnen, doch ein Wort hatte ich behalten: Toledo.
Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich mich in Spanien befand, machte ich mich auf den Weg. Ich betete, dass mir Gott diesen Traum gesandt hatte, dass er einen Grund hatte, mich loszuschicken.
Es war ein weiter Weg bis nach Toledo, vor allem, weil ich kein Pferd besaß. Argyle hatte unser gesamtes Vermögen verwaltet und so blieb mir nichts anderes übrig, als zu laufen. Ich hielt mich an das fünfte Gebot: Du sollst nicht stehlen.
Zunächst beschloss ich, nach Granada zu gehen, um herausfinden, in welchem Jahrhundert ich mich befand. Würde ich das Kloster vorfinden, dessen Entstehung ich selbst beigewohnt, und dessen Einweihung im Jahre 1582 gewesen war, so wäre alles gut.
Ein mulmiges Gefühl begleitete mich auf meiner Reise. Ich überlegte mir, was ich machen sollte, wenn ich mich im dritten Jahrhundert befände. Würde ich mir irgendwann selbst begegnen? War das Gottes Plan? Sollte ich mich davon abhalten, den entscheidenden Fehler zu machen? Doch welcher war das gewesen? Von der Landschaft, die grau an mir vorbeizog, nahm ich kaum etwas wahr. Ich dachte an Argyle und an die Schmerzen, die er erleiden musste. Ich selbst litt und sehnte jeden Morgen herbei, der mich schlafen und meine Pein vergessen ließ. Als ich Granada erreichte, huschte ich durch die Nacht und versuchte, mich unsichtbar zu machen. Zum Teil, weil ich immer noch die Kleidung aus Alexandria trug, zum Teil, weil ich Angst hatte, wem ich begegnete. Meine Erleichterung, als ich vor der Klosterpforte stand, war unermesslich. Ich sank auf die Knie und dankte meinem Schöpfer. Ich war daheim. Daheim in meinem Jahrhundert. Ich war so benommen vor Freude, dass ich nicht merkte, wie sich die Klosterpforte öffnete und eine Nonne heraustrat. Sie erkannte mich.
»Schwester Lucienne«, rief sie aus und zog mich auf die Beine. Ich sah sie erschrocken an, denn ich war mir immer noch nicht im Klaren, ob es mich doppelt gab.
»Wo kommt Ihr her? Ihr seht schrecklich aus!« Wie ein Wasserfall sprach sie auf mich ein und ich hatte doch nur eine Frage. Eine, die mich so nervös machte, dass ich nicht antworten konnte. Indem ich den Zeigefinger über meine Lippen legte, gab ich ihr das zu verstehen. Sie bedeutete mir, ihr zu folgen und ich erhielt einen neuen Habit und einen Kanten Brot, mit dem ich nichts anfangen konnte. Ich sah mich um, doch nichts konnte meine dringlichste Frage beantworten. Das Kloster sah aus wie immer – als ob die Zeit in ihm stehen geblieben wäre.
»Ich habe gehört, dass Ihr nach Schwester Theresas Tod unter die Trappisten gegangen seid.«
Ich nickte und lächelte meine neugierige Mitschwester an. Das Lächeln kam von Herzen.
Voller Zuversicht und Gottvertrauen brach ich in der nächsten Nacht auf, Richtung Toledo.
Ich verbrachte meine Wanderung von Granada nach Toledo im Gebet und fastete. Der Weg wurde zur Pilgerreise. Die Schmerzen in meinem Gesicht marterten mich. Wie lange würde es dauern, bis es verheilte? Ich fragte mich das wegen meines Vaters, auf den ich in Toledo zu treffen hoffte. Wir hatten Winter und die Nächte waren lang. Nach vier Wochen erreichte ich Toledo.
Meine Schuhe litten ebenso unter dem langen Weg. Sie waren, als ich die Stadt erreichte, ruiniert. Ich warf sie weg und machte meinem Orden der barfüßigen Karmeliterinnen alle Ehre. Dann stand ich barfuß vor der Stadt und wusste nicht, was ich nun tun sollte. Es erwartete mich niemand. Es war tiefste Nacht und die Tore waren verschlossen. Von plötzlicher Verzweiflung ergriffen, setzte ich mich auf einen Grenzstein.
Drei Reiter näherten sich und ich sah auf. Der Anführer war ein junger Mann, kaum älter als ich selbst. Ihm folgten ein älterer Mann in Uniform
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