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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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hinter sich, auf den Tresen, und spürt, wie sie plötzlich das Buch der Prägungen berührt, das sich noch immer dort befindet, wo Madame Iris es hat liegen lassen.
    Und dann läuft sie los, und der dunkle Engel dreht sich um und springt. Ereschs Wort durchbohrt die Hand, die auf ihrem Mund liegt, und das schwarze Zeug strömt auf sie zu, und der Engel mit dem weizenblonden Haar lässt von der Herrin der Toten ab und stößt Worte des Feuers aus, gerade als sich das Messer in Ereschs Hals bohrt und Anna, Inanna, Phreedom durch den Vorhang stürzt und sich durch den Holzrahmen der zersprungenen Tür wirft, aus diesem kleinen Winkel der Hölle hinaus und in die Wirklichkeit zurück, und hinter ihr blühen Blut und Flammen auf wie die ausgefransten Blütenblätter einer schwarzen Nelke.
     
     
    In ein schmutziges härenes Gewand gekleidet
    Während Inanna aus der Unterwelt aufersteht, hielten sich die Ugallu an ihrer Seite — kleine Dämonen so kurz und dünn wie Nadeln, große Dämonen so dick wie Schilfrohr. Ihr voraus ging einer, der ein Zepter hielt, obwohl er kein Minister war. Hinter ihr ging einer, der einen Streitkolben hielt, obwohl er kein Krieger war. Die Ugallu waren Dämonen, die keine Speise kannten und kein Wasser und weder Trankopfer noch Geschenke annahmen. Für Sex hatten sie nichts übrig, und auch Kinder hatten sie nicht, die sie hätten küssen können. Ihre größte Freude bestand darin, eine Frau vom Schoß ihres Mannes zu reißen, ein Kind von den Knien seines Vaters, die Braut aus ihrem Hochzeitsbett.
    Die Dämonen hielten sich an ihrer Seite.
    Anna fährt mit einem Finger über die Kopie von Inannas Mal, folgt der Geschichte in dem Muster bis zum Ende. Es ist nicht mehr ihre Geschichte, nicht ganz, aber sie ist der ihren immer noch ähnlich genug, um sie zu beruhigen. Sie ist nicht mehr nur Phreedom Messenger; sie verfügt auch über die Erinnerungen der Cypherlady, wie sie Metatron in einem Hotelzimmer ein Geschäft vorschlägt – keine visuelle Erinnerung, sondern ein sonderbares kubistisches und mechanisches Bewusstsein der Sim. Dann gibt es einen Teil von ihr, der immer Inanna sein wird, die durchtriebene, ehrgeizige Inanna, und so fällt es ihr ausgesprochen schwer, das Buch nur für das zu benutzen, was sie wirklich braucht. In manchen Nächten blättert sie darin, betrachtet die Prägungen toter Götter, die darin festgehalten sind, und sie weiß, dass sie eine Macht in Händen hält, für die Metatron sie töten würde, Immunität hin oder her. Sie weiß, dass sie über die Fähigkeit verfügt, diese Zeichen anderen aufzuprägen; eine verdammte Armee von VR-Göttern könnte sie erschaffen und ausschicken, den Konvent von innen heraus auseinanderzunehmen. Aber sie fragt sich auch, wie viele dieser verlorenen Seelen Madame Iris mit neuen Körpern ausgestattet hat, wo sie jetzt sind und was sie von dem Mädchen halten würden, das ihre Herrin verraten hat, um die eigene Haut zu retten. Vielleicht wären sie ihr dankbar, dass sie sie befreit hat; andererseits könnten sie sie auch hassen.
    Sie rutscht von der Kommode und schlendert wieder zum Fenster des Motelzimmers hinüber. Dort draußen ist nichts zu sehen, nur der Holzzaun um den Parkplatz, dahinter der Highway, auf dem die Autos hin und her brummen, nach Norden und Süden, und die Felder und Wiesen jenseits der Straße – hohes Gras, das sich im Wind wiegt. Aber sie ist sich trotzdem sicher, dass sie da sind. Was auch immer sie sind, sie ist sich sicher, dass sie da sind.
    Ein Teil von ihr – die Cypherlady, die Sim, ein Bewusstsein in einem virtuellen Körper – kann sie im Knistern des Vellum hören.
    Vor den Toren des Palastes wartet Ninschubur, in ein schmutziges härenes Gewand gekleidet. Als sie Inanna mit den Ugallu an ihrer Seite sieht, wirft sie sich zu ihren Füßen in den Staub.
    »Geh weiter, Inanna«, sprachen die Ugallu. »Wir werden Ninschubur als Ersatz für dich mitnehmen.«
    »Nein«, rief Inanna. »Ninschubur ist meine unerschütterliche Stütze, meine Sukkal, die mir weisen Rat erteilt, die Kriegerin, die meine Flanke schützt. Sie entsann sich meiner Befehle und erhob ein großes Wehklagen für mich in den Ruinen. Sie schlug die Trommel für mich bei den Zusammenkünften der Unkin und vor den Gotteshäusern. Sie zerkratzte sich die Augen, den Mund, die Schenkel. Sie hüllte sich in das schmutzige härene Gewand der Bettler und ging dann zum Tempel des Herrn Ilil in Nippur. Sie ging nach Ur zum Tempel

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