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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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ihnen ab, schultert langsam und bedächtig die Lanze und nimmt ein Bierglas in jede Hand. Sie und Don haben eine zweite Wette laufen, bei der es darum geht, welches Glas ihr zuerst aus der Hand geschossen wird.
    Zweiunddreißig. Das Glas in ihrer linken Hand explodiert. Phreedom lächelt.
    Dreiunddreißig. Sie zuckt nicht mit der Wimper, als Don die Kerle niederstreckt, ohne auch nur aufzustehen. Sie bittet den Barkeeper um ein weiteres Bier, nimmt es entgegen und trägt es zum Tisch zurück.
    »Einundvierzig Sekunden«, sagt er.
    »Ein Rekord.«
    Sie lässt sich auf der Bank nieder und lehnt ihren Zerspalter an den Tisch, neben Dons. Sie greift in die Tasche, um eine Zigarette hervorzuholen, doch als sie das Feuerzeug hochhält, nimmt er ihre Hand.
    »Du redest nie über ihn«, sagt er. »Über keinen von beiden.«
    Sie zieht die Hand fort und zündet die Zigarette an.
    »Ich kann verdammt nochmal nicht ändern, was passiert ist«, sagt sie. »Nichts davon.«
    Sie inhaliert tief.
    »Ich wünschte, ich könnte es.«

4
Die Sensen des Kronos
    Peterhead, 1920
     
    Hiermit bestätigen wir den Eingang Ihres Gesuchs, steht in dem Brief. Zu gegebener Zeit werden Sie eine Antwort erhalten ... sobald sämtliche Tatsachen in dieser Angelegenheit ermittelt sind ... zu unserer Zufriedenheit in Betracht gezogen ... und lauter solcher Mist. Doch Seamus ist zu müde, um weiterzulesen — er liegt nackt auf der bloßen Matratze und friert. Aber er wird diese verdammten Klamotten mit den Sträflingspfeilen nicht tragen und er ist auch nicht so erschöpft, weil er im Steinbruch geschuftet hat — denn auch das wird er verdammt nochmal nicht tun —, sondern weil er sich andauernd mit den Wärtern anlegt. Sein Rachen ist von dem Schlauch ganz wund, mit dem sie ihn zwangsernährt haben, und auch sonst ist er von oben bis unten schwarz und blau. Die Blutergüsse von der heutigen Auseinandersetzung müssen sich natürlich erst noch bilden. Er lässt den Brief aus dem Innenministerium fallen. Arschlöcher. ›Drei Monate Strafvollzug‹ heißt das in ihrer hochtrabenden Sprache. Ganz gleich, wie sie es nennen, es sind drei Monate verdammte Schwerstarbeit, und die ganze Zeit über steht ein Wachmann Gewehr bei Fuß. Zwei Monate hat er jetzt schon hinter sich. Heute ist der 25. Oktober.
    Und hier liegt er nun und blickt zu dem klaren Himmel jenseits der Gitterstäbe hinauf, folgt dem Flug der Vögel und fragt sich, ob er tot oder frei sein wird, bevor sie kapieren, dass er kein gewöhnlicher Sträfling ist, sondern ein politischer Gefangener. Draußen werden Schritte laut. Eine Krähe zieht ihre Kreise.
     
    »Nun ja, ich muss schon sagen, das gefällt mir aber gar nicht, Sie in so ’nem Zustand zu sehen.«
    Am Fuß des Bettes steht einer der Jungs, Obergefreiter Donald O’Sheen MacChuill (die Mutter eine irische Katholikin, der Vater ein schottischer Protestant, soweit sich Seamus erinnern kann — die Royal Dublin Fusiliers waren schon immer ein zusammengewürfelter Haufen, und MacChuill ist dafür das beste Beispiel — er sprach Gälisch und kannte ›Die Schärpe‹ auswendig, ohne darin einen Widerspruch zu sehen). MacChuill steht einfach nur da, in voller Montur mit Rucksack und Helm, das Gewehr über dem Rücken, mit einem bescheuerten Grinsen und einem großen Loch im Gesicht, wo früher sein rechtes Auge war, ein klaffendes schwarzrotes Loch, umgeben von harten weißen Splittern, die tief im grauen weichen Fleisch stecken, eine einzige ekelhafte Masse. Aber das macht Seamus keine Angst mehr, weil er weiß, dass das nur ein Tagtraum ist und wenn ihm nicht einmal die Elektroschocks in Inchgillan etwas anhaben konnten — nun, immerhin hat er etwas von dem Arzt gelernt, denn der hat ihm erzählt, woran dieser Typ drüben in Craiglockhart arbeitet, und von wegen, man müsse seinen inneren Dämonen ins Auge sehen und lauter solcher Mist. Eigentlich war er kein schlechter Kerl, dieser Doktor Reynard. Was für eine Wunde, hatte er gesagt, Himmel, was für eine fürchterliche Wunde ... dieser MacChuill muss sofort tot gewesen sein. Er hat sicher nicht gelitten. Ich möchte, dass Sie das nicht vergessen. Er hat nicht gelitten. Daraufhin hat Seamus aufgehört zu schreien, wenn MacChuill ihn besuchte.
    »Ach, Scheiße«, sagt er.
     
    Er setzt sich mühsam auf und schüttelt den Kopf. Der Hungerstreik hat ihn stark geschwächt, und die Dinge sind nun einmal, wie sie sind. Anfälle hatte er schon eine ganze Weile keine mehr, aber was

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