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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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von herbeigewehter Erde bedeckt – am Horizont abzeichneten, weitläufige Hügellandschaften, die darauf warteten, dass sich ein Archäologe ihrer annahm. Nun, ganz stimmt die Form nicht, aber wenn man eine dieser Ebenen nehmen und zwischen den Tells Städte errichten würde, die aufblühten und untergingen, bis die Ebene aufgefüllt und zu einem Plateau geworden wäre, und auf diesem Plateau würden wieder Städte errichtet und so immer weiter, ein Tell auf dem nächsten  – dann bliebe nach einer Ewigkeit vielleicht etwas übrig, das aussähe wie Mount Oblivion.
     
    Das alles versuche ich Puck zu erklären, aber er gähnt nur, rollt mit den Augen, dreht Däumchen, scharrt mit den Füßen, schlenkert mit den Armen, kratzt sich den Dreck unter den Fingernägeln weg, tritt von einem Fuß auf den anderen, spielt mit den Haaren und blickt schließlich auf eine imaginäre Armbanduhr – und das alles während meines ersten Satzes. Ich gebe auf, seufze verärgert und versuche es mit einer anderen Erklärung.
    »Wahrscheinlich ist es nur eine einzige große Mülldeponie«, sage ich. »Die Trümmer der Ewigkeit. Wohin die Abfälle gehen, wenn sie ein gottgefälliges Leben geführt haben.«
    »Bockmist«, sagt Puck, » hier ist etwas Schreckliches vorgefallen.« Und er versucht wieder, den Busch herauszureißen. »Sieh dir Jack an.«
    Jack hockt ungefähr dreißig Meter entfernt auf dem Boden, die Arme um die Knie geschlungen. Sein Blick sucht gedankenverloren den Himmel ab, als beobachte er eine Fliege. Hin und wieder schaut er zu Puck hinüber, mit der verstohlenen, nervösen Eindringlichkeit eines schuldbewussten Hundes. Schließlich hat Jack mit seinem abscheulichen Geheule dafür gesorgt, dass wir hier gelandet sind. Immer wieder scharrte er fieberhaft auf dem Boden und immer wieder rannte er plötzlich panisch davon, um sich in sicherer Entfernung niederzukauern. Puck ist fest davon überzeugt, dass unter dem Busch ein entsetzliches Geheimnis verborgen liegt. Oder, wie er sich ausgedrückt hat, dass etwas Schreckliches vorgefallen ist.
     
    »Hilf mir mal, ja?«, sagt Puck.
    Ich gehe zu ihm hinüber, schiebe den Arm durch das Dickicht aus Blättern und Zweigen und packe einen etwas dickeren Ast. Dann bohre ich die Fersen in die Erde, zähle bis drei und wir ziehen.
    »Eins, zwei, drei und los! Eins, zwei, drei und los! «
    Beim dritten Mal knackt es, beim vierten Mal kracht es und beim fünften Mal raschelt es, als sich die Wurzeln lösen und ein Gewirr aus Erde und Holz zum Vorschein kommt. Als würden wir einen vernachlässigten Bonsai aus dem Topf heben. Das Gefühl, die Wurzeln aus dem Drahtgeflecht zu ziehen, mit dem sie verwachsen sind, kommt mir bekannt vor – erst langsam, dann mit mehr Kraft, als ziehe man einen Kamm durch verfilztes Haar. Ein letzter Ruck und der Busch gibt nach, bis auf ein paar dickere Wurzeln. Aber wir können sehen, was darunter liegt. Mein Verdacht bestätigt sich.
    Der Busch ist auf einer Erdschicht gewachsen, die es über den dünnen Film einer Plastiktüte geweht hatte, die sich wiederum irgendwann an den Stahlspitzen des Gitterwerks über etwas verhakte, das einer Kanalisation nicht unähnlich sieht. Schließlich bohrten sich die Wurzeln des Busches durch die Plastiktüte und drängten sich zwischen die Streben und immer weiter hinunter. Alles recht banal, sieht man von den Schädeln ab, die dort unten liegen und das ganze Loch ausfüllen wie Murmeln in einem Glas.
    Ich muss zugeben, dass hier, ja, vielleicht wirklich etwas Schreckliches vorgefallen ist.
     
     
    Die Taverne
     
    »Du redest nie über ihn«, sagt Don.
    »Was würde das auch bringen?«, entgegnet sie und öffnet die Tür.
    Als sie eintreten, verstummen die Stimmen für einen Moment. Kapuzen verbergen ihre Gesichter, Regencapes ihre Gestalt. Gesichter wenden sich ihnen zu, und sie werden wie im Saloon in einem Western gemustert oder wie im Gasthaus in einem Horrorfilm. Die Gefährten betreten in einem Fantasyepos die Schänke. Tempelritter auf wichtiger und höchst geheimer Mission ins Heilige Land rasten in einer Herberge, ohne die glänzenden Rüstungen unter ihren Umhängen zu enthüllen. Mit ihren Zerspaltern – den zwei Meter langen Qi-Lanzen, die gleichermaßen als Speer, Armbrust und Gewehr dienen  – sehen sie auch ganz danach aus, denkt Phreedom. Mit dem Unterschied, dass ihre Regencapes aus wasserfestem Schmelz gefertigt sind und ihre Rüstungen aus schwarzem Leder. Mit dem Unterschied, dass sie

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