Vellum: Roman (German Edition)
Bitte, sagte er. Er könne es ihr nicht einfach so erzählen, sagte er, aber ... wenn sie ihn fragte ... wenn sie fragte ... ganz gleich, was ... dann würde er ihr alles erzählen, was er wusste.
Also fragte sie ihn, und Seamus erzählte ihr, wie er ihren Bruder erschossen hatte.
Und jetzt sind sie wieder in einer ähnlichen Situation, sie will ihm von ihrer Schande erzählen, aber sie möchte, dass er in sie dringt, wie sie in ihn gedrungen ist. Aber was mochte das sein? Herrgott, was war so schlimm, dass sie befürchtete, er würde es ihr nicht verzeihen?
Der dritte Mitspieler
»Ich bin schwanger«, sagt Phreedom.
Finnan senkt den Blick und betrachtet die Flasche, die er in der Hand hält. Er beugt sich vor und stellt sie sacht zwischen seinen Füßen auf den Boden. Die leisen Worte hallen durch die Kirche, ein Flüstern, wie es nur in leeren Sälen zu hören ist, nicht ganz ein Echo, das verständlich wäre, sondern nur ein frommes Beben der Steine, die eine menschliche Stimme zurückwerfen.
»Ist es ...?«
»Von dir?«, sagt sie. »Scheiße, das hoffe ich doch. Herrgott, hoffentlich.«
Er weiß, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Als sie sich das letzte Mal getroffen haben, in derselben Kirche, erzählte sie ihm haarklein, was sie ihr angetan hatten, die Engel des Konvents, die nach ihrem Bruder suchten.
Sie waren der Meinung gewesen, sie sei tot, und in gewisser Hinsicht stimmte das sogar; sie beide waren das – Finnan, dem sie das Herz herausgerissen hatten, der Thomas und sie verraten hatte, und sie mit dem Samen, der sie langsam vergiftete. Sie hat die Hölle aufgesucht, um ihren Bruder zu retten. Es ist nicht gut ausgegangen.
»Ich habe sie zu ihm geführt«, hatte sie gesagt. »Ich dachte, ich könnte der Geschichte einen neuen Verlauf geben, uns aus ihr herausreißen, und dabei habe ich die ganze Zeit nur ein Loch ins Vellum gerissen, durch das diese ... Kreaturen zu ihm gelangen konnten. Du hast ihn verraten, Finnan, aber ich habe ihn dem Teufel ausgeliefert. Ich dachte, ich könnte zurückgehen und alles ... wieder gutmachen. Aber die Zeit im Vellum birgt so manches Rätsel, nicht wahr?«
Damals war er sternhagelvoll und schmutzig gewesen, wie jetzt auch. Er lebte von der Hand in den Mund, stolperte von Suppenküche zu Obdachlosenheim, schmorte in seinem eigenen Elend und soff in Kirchen, einfach nur, um diesen Scheißgott seiner Kindheit zu provozieren. Als sie ihn aufgespürt hatte, hatte er damit gerechnet, dass sie ihn hasste, aber da war sie bereits zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich selbst zu hassen. Letztlich hatten sie immerhin ein wenig Trost aneinander gefunden; sie hatte ihn mit auf ihr Zimmer genommen, ihm etwas zu essen gegeben und ihn gesäubert. Als sie dann schließlich zusammen in dem warmen Bett lagen, nachdem sie wie die Tiere gerammelt hatten, hatte sie ihm von den vielen fremden Männern erzählt, die sie auf dieselbe Weise benutzt hatte; sie hatte sie in Single-Bars und zwielichtigen Nachtclubs aufgelesen, schmutzige alte Männer oder ein paar Burschenschafter. Er wusste, dass sie ihm das nicht erzählte, um ihm wehzutun, sondern weil sie es loswerden musste, und er war der Einzige, der sie verstand. Beide versuchten sie, die Erniedrigung ihrer Seele fassbar zu machen, indem sie ihren Körper zugrunde richteten.
Das ist drei Monate her, und jetzt ist sie schwanger. Vielleicht ist das Kind von ihm, aber es könnte auch von jedem dahergelaufenen John und Mark, Tom, Dick oder Harry sein. Oder von den Engeln.
»Egal ...«, sagt sie. »Ich will es haben.«
Er sieht sie an. Er spürt eine Stärke in ihr, als gebe ihr die Entscheidung Kraft – vielleicht weil sie das Ende ihrer bisherigen Geschichte bedeutete und den Anfang einer neuen. Sie hat sich mit solcher Vehemenz gegen ihr Schicksal aufgelehnt, von jenem Tag an, als sie dem Engel des Konvents entgegengetreten ist. Sie hat ihre Seele der Hölle verkauft, nur um der Königin der Verdammnis ihre Geheimnisse zu rauben, sie hat sich einen Weg ins Vellum gebahnt, um ihren Bruder zu retten, und an der Sinnlosigkeit all dessen ist sie innerlich zerbrochen, so wie er auch, und daraus hat sich eine trostlose, nihilistische Philosophie entwickelt. Während er noch immer auf den Knien liegt und gegen das Erlöschen des Lichts wettert, ist sie aufgestanden und der Finsternis entgegengetreten, bereit, in sie einzutauchen, bereit für den letzten Kampf.
Und er wartet einfach nur auf das
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