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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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aufmachte und ihn im Salon seinen Freunden vorstellt seinen Freunden mit ihrem närrischen Kneipengeschwätz über Kriege und Revolutionen und wir werden nicht aufgeben bevor der Adel nicht nachgibt und im Park wo der Gesang der Vögel so anders klingt als das raue Krächzen der rußschwarzen Krähen schwarz wie Kohle im Feuer frei ruft er Feuer frei!
    Und er reißt sich zusammen, reißt sich zurück in die Gegenwart, zurück in den Schlachthof mit seinen Opfertieren, den geschlachteten Rindern, Henderson steht vor dem Eingang, und die Bitläuse kriechen Finnan durch Körper und Geist. Ihr gottverdammten Arschlöcher, denkt er. Mich kriegt ihr nicht klein.
     
    Wirklich und tatsächlich, es ist ein Ritus, der ihn auf ewig binden soll. Stück für Stück legen die Bitläuse seine Seele frei, fressen sich durch seine Erinnerungen, schlängeln sich durch die Schichten seiner Vergangenheit, die seine Identität ausmachen. Er bezweifelt, dass sie einen Gedanken daran verschwenden, was hinterher übrig sein wird. Im Unterschied zu ihren Fußsoldaten, wenn nicht sogar zu sich selbst, versuchen sie nicht, ihn an ein neues Ich zu fesseln. Sie möchten einfach nur seine Seele offen legen, ganz weit, damit sie durch sie hindurchschauen können, in das Vellum hinab. Ein Ritus? Eher hat er das Gefühl, dass sie in seinen Eingeweiden lesen. Sie reißen ihn auf, spreizen die Wunde auseinander und benutzen ihn, um einen Scheißarchetypus heraufzubeschwören, der tief in seinem Unterbewusstsein verborgen ist. Er hat keine Ahnung, nach wem oder was sie suchen, aber er weiß jetzt, dass sie in ihm lesen, dass sie die Spuren von Verrat und närrischen Plänen verfolgen, die verdammten Eingeweide seiner Träume. Und doch hoffen wir inständig, dass du von diesen Ketten befreit wirst.
    Er muss an einen Hauptmann denken, der ihm vor langer Zeit sein Mitgefühl wegen eines schwerwiegenden Fehlers ausgesprochen hat und eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung anbot.
    Guter Bulle, böser Bulle, was?, denkt er. Das kenne ich, ihr Schweinehunde.
    »Sprechen wir über etwas anderes«, sagt er. »Meine Lippen sind versiegelt. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden. Wenn ich schweige, gelingt es mir vielleicht irgendwann, meine Ketten abzustreifen.«
    Aber das ist nur Unkingeschwätz, und eigentlich meint er, sie sollen sich verpissen, diese verdammten Wichser, denn Feldwebel Seamus Padraig Finnan weiß ganz genau, was ihr vorhabt, und ihr könnt euch verdammt nochmal auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln, wenn ihr glaubt, dass euch das irgendwie weiterhilft. Nein, ihn bekommt ihr nicht mürbe.
    Finnan ist wach.
    Die Bitläuse wirbeln wieder empor, lösen sich für einen Moment von ihm, lassen sich dann wieder auf ihm nieder und berühren seinen Geist, auf der Suche nach einer anderen Erinnerung, die sie bloßlegen, nach einer weiteren Schicht, die sie abpellen können.
     
     
    Fliegende Furien
     
    Ein Mädchen, ach je, ein hungriges, unglückliches Mädchen, von fliegenden Furien heimgesucht, auf der Flucht am Meer entlang, an Sanddünen vorbei, von hundert starrenden Augen gejagt und bedrängt, tönerne Bildnisse von Hirten verfolgen sie, all die Statuen der Heiligen und von Christus am Kreuz und die Gemälde in den Kapellen blicken vorwurfsvoll auf sie hinab. Sechs Fuß Erde können die neugierigen, frommen Augen all der ruhmreichen Toten, die sie vom Himmel herab mustern, nicht verbergen. Herr Jesus und alle Heiligen, sie sehen ihre Schande. Irgendwo wird leise eine Rohrflöte geblasen, ein einlullendes Lied, wie der Wind, der raschelnd durch breites, hohes Gras weht.
    Herrgott, die Schmerzen! Wieder wird sie von einer elenden Mücke gestochen, die Insekten aus den stehenden Gewässern summen ihr um den Kopf, als wären die Heiligen selbst vom Himmel herabgestiegen, um sie für ihre Sünden zu bestrafen.
    Und Anna in ihren Röcken stolpert, lässt sich schluchzend in den Sand sinken.
     
    Wohin, Herr, wohin soll sie sich wenden? Welcher Sünde wird sie bezichtigt, ihr Söhne der Krone, dass sie zu diesem nicht enden wollenden Elend verdammt wurde? Ach, aber sie weiß es nur zu gut. Lasst mich im Feuer brennen, denkt sie, begrabt mich tief in der Erde oder werft mich den Geschöpfen des Meeres zum Fraß vor, o Herr, aber seid gnädig. Ich werde nicht mehr vom Weg abkommen, das verspreche ich. Mein ungestümes Leben hat mir genug Leid eingebracht; ich habe meine Lektion gelernt. Nur lasst mich wissen, wann dieses

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