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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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geschrieben, warum wollt Ihr für immer eine Jungfer bleiben, wenn Ihr die vornehmste aller Verbindungen schließen könntet? Das Herz eines Herzogs habt Ihr entflammt, Armors Pfeil hat ihn getroffen, und er wünscht sich sehnlichst, mit Euch in Liebe vereinigt zu sein. Anna, mein Kind, meine Liebste, meine Taube, verschmäht nicht das Bett der Herzöge. Geht hinaus auf Lernas Weide, zu den Ställen des herrlichen Gutes Eures Vaters, und dort werde ich Euch treffen, nur um Euch zu sehen, Anna, damit das Auge des Herzogs sein brennendes Verlangen ein wenig lindern möge.
    Dergleichen Botschaften trieben sie jeden Abend weiter in die Verzweiflung, bis ...
    Bis sie eines Tages feststellte, dass sie schwanger war und ihr feiner Verlobter sich auf ein närrisches Knabenabenteuer ans Ende der Welt begeben hatte.
     
     
    Die argusäugige Menschheit
     
    »Ich ließ mich dazu hinreißen, meinem Vater von den Träumen zu erzählen, die mich jede Nacht plagten, denn ich träumte von nichts anderem als jedes andere junge Mädchen — von Ehe und Mutterschaft.«
    Sie war eine Närrin gewesen, ja, und sie hätte nie zulassen dürfen, dass er ihr das antat, sie hätte warten sollen, aber sie hatte den Ring am Finger — nur eben nicht am richtigen Finger — und — und sie hatte Finnan dort am Strand angeschaut, wie ihm der kalte Wind die Haare ins Gesicht peitschte und ihm Tränen in die Augen schossen — und sie sagte: Das war nicht das erste Mal, Seamus, nicht wahr?
    Aber Enosch Messenger hatte sich bemüht, alles wieder in Ordnung zu bringen, zu seiner Tochter zu stehen, obwohl sie eine solche Schande über sie alle gebracht hatte. Er hatte versucht, Carters Familie oder Freunde aufzuspüren, zu den Wurzeln dieses edlen Helden vorzudringen. Aber er hatte nichts gefunden. Brief um Brief schickte er an Carters befehlshabenden Offizier, an Freunde und Kollegen, die er erwähnt hatte, die in aller Herren Länder zerstreut waren, bis nach Pytho und bis zu den Eichen der Dordogne, um zu erfahren, was er sagen oder tun sollte, um Fürsten wie Tradition gerecht zu werden. Aber sie kamen mit dunklen, vieldeutigen und nur undeutlich gemurmelten Rätseln zurück. Niemand hatte von ihrem Verlobten das Geringste gehört.
     
    »Bis endlich«, sagt sie, »eine unmissverständliche Antwort eintraf, so klar und deutlich, wie nur ein Befehl an einen Untergebenen es sein kann, und sie teilte meinem Vater mit, dass meine Schande ganz allein die meinige sei. Ein rechtschaffener Mann, ein ›Offizier‹ und ›Gentleman‹ würde nie und nimmer ... Ich sei eine Lügnerin, sagten sie, und falls mein Vater Wert auf den Ruf seiner Familie lege, dann solle er tun, was jeder brave Mann tun würde und seine schändliche Tochter aus dem Haus jagen, mich von Haus und Hof vertreiben, wenn er nicht wolle, dass der gute Name seiner Familie ... ausgelöscht würde.«
    Und so wurde sie weggeschickt, um ihr Kind auszutragen – um überall auf der Welt herumzuirren, hört Seamus die Bitläuse flüstern, und als er sie dort auf der Bühne stehen sieht, hat er eine Vision. Er sieht Anna, so wie sie jetzt ist, aber von Bildern anderer Ichs überlagert wie von Spiegelungen in einem Fenster, hinter dem sie steht. Er sieht eine etwas jüngere Frau mit demselben roten Haar und denselben Sommersprossen, die eine Lederjacke mit einem Reißverschluss trägt wie ein Mann, ein Pilot oder ein Motorradfahrer; und da ist noch eine weitere Anna, wieder eine andere, in ein einfaches weißes Gewand gekleidet, ein griechisches Mädchen aus alter Zeit. Er sieht sie dreifach, in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft. Seamus blinzelt und reibt sich die Augen. Er kneift die Lider zusammen, seine Finger bohren sich in seinen Nasenrücken, im Bemühen, die alten Nervenprobleme wieder in den Abgrund hinunter zu zwingen, wohin sie gehören. Als er die Augen öffnet, ist die Welt wieder normal, ohne dass die flüsternden gespenstischen Bilder seiner Anfälle auf ihm lasten. Er ist wieder ganz ruhig.
     
    Gegen seinen Willen, erzählt sie ihnen, von der Aussicht auf die vorwurfsvollen, glühenden Gewitterwolken der Blicke bezwungen, von der niemals endenden Herrschaft der Grafen und Damen gezwungen, hatte er sie verstoßen, aus dem Haus gejagt, als hätte sie sich an Geist und Körper in ein gehörntes Tier verwandelt. Anna, die Kuh. Anna, die brünstige, schwitzende, schmutzige Sau, die unverheiratete Mutter, Sklavin ihrer Gelüste wie jedes andere Wesen, das sich

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